EnMAP-Daten werden uns dabei helfen können, die Erde und ihre Ökosysteme zu verstehen. © OHB/DLR

EnMAP: Die Sichtbarkeit des Unsichbaren

Über die Bedeutung der hyperspektralen Fernerkundung für die Menschheit

Überschwemmungen, Unwetter, Hitzewellen – der Klimawandel ist längst für uns alle spürbar. Damit die Menschheit diesen Veränderungen begegnen kann, müssen die Ökosysteme und ihre Funktion zunächst verstanden werden. Einen entscheidenden Beitrag dazu kann die Fernerkundung aus dem Weltraum leisten. Besonders die Hyperspektraltechnologie bietet neue Möglichkeiten, das Unsichtbare sichtbar zu machen. OHB leistet als Hauptauftragnehmer für die Mission EnMAP (Environmental Mapping & Analysis Program) dafür einen entscheidenden Beitrag. Im Interview spricht das OHB-Expertenteam mit Hans-Peter Honold, Bernhard Sang und Rüdiger Schönfeld über die Bedeutung der deutschen Hyperspektralmission für die Bewältigung der Klimakrise, die Wettbewerbsfähigkeit von OHB und den Teamspirit am OHB-Zentrum für Optik und Wissenschaft.

Der Klimawandel steht offensichtlich vor der Haustür. Hat die Menschheit ein Problem?

Bernhard Sang: Der Klimawandel ist definitiv eine Herausforderung für die Menschheit. Denn: Die wachsende Bevölkerung und ihre Aktivitäten in allen möglichen Bereichen der Biosphäre stoßen an die Grenzen der verfügbaren Ressourcen. Ob das nun saubere Luft mit einem geringen Anteil klimaschädlicher Gase wie CO2 und Methan, sauberes Wasser oder landbasierte Ökosysteme wie Wald oder Landwirtschaft sind – die große Aufgabe der aktuellen und kommenden Generationen wird es sein, in all diesen Bereichen den Übergang zur ressourcenerhaltenden Bewirtschaftung zu schaffen.

Wie kann die Umweltbeobachtung aus dem Weltraum dabei helfen?

Bernhard Sang: Weltraumbasierte Umweltbeobachtung besitzt einen unschlagbaren Vorteil: die Perspektive. Man ist im All sehr weit von den zu beobachtenden Objekten entfernt, dafür erhält man aus weiter Ferne eine großräumige globale Perspektive. Da die Ökosysteme der Biosphäre allesamt mehr oder weniger global miteinander verbunden sind, kommt diesem Blickwinkel eine große Bedeutung zu. Wir Menschen lernen seit einigen Jahrzenten über diese Ökosysteme durch ein iteratives Vorgehen bestehend aus Beobachtung und Modellierung. Derartige Modelle, die meist gewisse Aspekte wie zum Beispiel den Kohlenstoffzyklus global beleuchten, werden „Digital Twin Earth“ genannt und von der Europäischen Union in ihrer Entwicklung stark vorangetrieben. Sie bilden das vorhandene Wissen ab, integrieren Daten, modellieren menschliche Aktivität und erlauben es z. B. langfristige Prognosen abzugeben wie zur Klimaentwicklung. Über die Verbesserung dieser Art Modelle und entsprechende Simulation von Szenarien wird die Menschheit lernen, das System Erde zu verstehen und daraus abgeleitet die Biosphäre nachhaltiger zu bewirtschaften. Grundlage dieser Modelle sind die globalen Daten bestimmter Umweltparameter. Diese können nur über die weltraumgestützte Beobachtung erhoben werden.

Hyperspektraldaten können künftig dabei helfen, Wachstumszyklen von Pflanzen zu ergründen und so mehr Ertrag produzieren.

Was macht die Hyperspektraltechnologie so bedeutsam für die Lösung von Umweltproblemen?

Bernhard Sang: Hyperspektrale Erdbeobachtung eine „vollständige“ Art der Erdbeobachtung. Hier wird nicht selektiv ein Bild aufgenommen, sondern es wird die gesamte Wechselwirkung des Sonnenlichtes mit der Erdoberfläche und der Atmosphäre kontinuierlich erfasst. Das reflektierte Licht enthält über seine Wechselwirkung mit Boden und Atmosphäre eine Menge an Informationen, die sich durch hyperspektrale Fernerkundung sehr genau erfassen lassen. So kann zum Beispiel der Gesundheitszustand einer Pflanze wesentlich genauer bestimmt werden als mit aktuellen Methoden. Da der hyperspektrale Sensor das gesamte Spektrum aufnimmt, können die Daten zu sehr verschiedenen Fragestellungen mit ein und dem gleichen Sensor bearbeitet werden. Dazu gehört die Gewässerqualität, der Waldzustand, die lokale Methankonzentration oder auch die Geologie. Es ist somit sozusagen das „Schweizer Taschenmesser“, also das Universalwerkzeug der optischen Fernerkundung.

Es gibt somit universelle Nutzungsmöglichkeiten?

Bernhard Sang: Definitiv. Eines der größten Menschheitsprobleme ist das der Ernährung. Wir verzeichnen eine wachsende Weltbevölkerung, haben aber keinen wachsenden Planeten und die Agrarflächen sind ausgeschöpft. Hyperspektraldaten können künftig dabei helfen, Wachstumszyklen von Pflanzen zu beobachten und durch verbesserte Bewirtschaftung mehr Ertrag produzieren. Neben Nahrung braucht der Mensch natürlich auch Trinkwasser. Die Daten werden uns auch helfen, die Qualität von Binnengewässern zu beurteilen sowie zum Erhalt der Bodenqualität beizutragen. Und natürlich wird der Zustand von Wäldern besser bewertet werden können. Als einer der ersten Hyperspektralsatelliten wird EnMAP die Tür öffnen für ein vertieftes Verständnis des Klimawandels und dessen Auswirkungen auf Land- und Gewässerökosysteme.

Am OHB-Zentrum für Optik und Wissenschaft haben viele Mitarbeitende etwa 15 Jahre an der Mission EnMAP gearbeitet. Was bedeutet dieses Projekt für das Team und für OHB?

Hans-Peter Honold: EnMAP ist eine Pionierleistung. Wir haben aus einer Vision ein reales Stück Hardware geschaffen. Zu Beginn wussten wir tatsächlich nicht, was alles auf uns zukommen wird, wo wir menschliche Grenzen und die des technisch Machbaren überschreiten werden. Diese Erfahrungen haben uns gestärkt und zusammengeschweißt und dienen als Grundlage auch für andere Projekte in Oberpfaffenhofen. Unser Team hat immer als Team gearbeitet und die Mission hat viele Menschen über einen langen Zeitraum verbunden. In EnMAP haben viele Kolleg:innen eine Vision verwirklicht. Die tiefe Motivation entstand aus der Identifikation mit dem Projekt und dem Mut, loszumarschieren, ohne dass wir uns von der Komplexität der Aufgabe erdrücken ließen. Die Entwicklung dieses Satelliten hat den Standort Oberpfaffenhofen stark geprägt und definiert. Durch EnMAP wissen wir jetzt: Wir brauchen keine Angst mehr vor großen
Herausforderungen haben.

Zu Beginn wussten wir tatsächlich nicht, was alles auf uns zukommen wird, wo wir menschliche Grenzen und die des technisch
Machbaren überschreiten werden.

Was war aus technologischer Sicht die größte Herausforderung in den vergangenen Jahren?

Hans-Peter Honold: Eine große Challenge war sicherlich die komplette Entwicklung und Herstellung des Hyperspektralinstruments, das seinerseits aus Teleskop und Spektrometer besteht. Wir haben hier das erste Mal in der Geschichte des Unternehmens ein gesamtes Instrument dieser Komplexität entwickelt und das mit einer großen Entwicklungstiefe, die bis auf Einzelteilebene ging. Das war ein großer Schritt für OHB. Auf diesem Weg haben wir uns viel Wissen und Kompetenzen aneignen können, von denen jetzt schon andere Projekte profitieren.

Blick in die Zukunft: Wenn Sie sich vorstellen, es ist Anfang April 2022 und EnMAP hebt mit der Falcon-9 ab Richtung All – was glauben Sie, wird in Ihnen vorgehen?

Hans-Peter Honold: Dieser Moment wird sicher einzigartig. Für mich und viele meiner Kolleg:innen war dieses Projekt wie ein weiteres Kind, unser Baby. Wir haben lange an dieser Mission gearbeitet und jetzt lernt dieses Kind laufen, wird selbstständig. Wir müssen loslassen. Wir sind fest davon überzeugt, dass unser Baby gut performen wird, schließlich haben wir sehr viel Energie in die Erziehung investiert.

Mit EnMAP hat OHB eine komplette Technologie entwickelt und gebaut. Ist diese Mission erst der Anfang?

Rüdiger Schönfeld: Ganz gewiss. Auch wenn es zu der Technologie von EnMAP in Teilen heute schon Weiterentwicklungen gibt, so haben wir vor allem gelernt, worauf es bei der Entwicklung solcher komplexen Instrumente und Missionen ankommt. Dieses breite Wissen hat dann den Boden dafür bereitet, dass wir von der ESA mit der Entwicklung der Nutzlast der Hyperspektralmission CHIME beauftragt wurden. Auch wenn CHIME auf den ersten Blick anders aussieht, so sind doch in sehr hohem Maße Wissen und Fähigkeiten, die im Rahmen von EnMAP erworben wurden zum Einsatz gekommen. Kurz gesagt: Ohne EnMAP gäbe es kein CHIME.

Gibt es weitere Ideen, die Kompetenzen aus EnMAP und CHIME im Wettbewerb zu platzieren?

Rüdiger Schönfeld: All das Gelernte gibt uns die Basis, Konzepte für hochperformante Lösungen zu entwickeln. So sind wir nun bereits dabei, die optischen Instrumente der nächsten Generation zu entwickeln. Des Weiteren lässt sich beispielsweise ein Mikrosatellit konzipieren, welcher annähernd die Performance des EnMAP-Sensors besitzt, noch mehr Bilder aufnehmen kann, aber nur ein Fünftel der Masse besitzt. Die zeitliche Performance lässt sich durch die Schaffung von Konstellationen verbessern. Und hier ergibt sich ein weiteres Potenzial für unseren OHB-Geschäftsbereich Digital: Downstream-Services für kommerzielle Nutzer. OHB könnte künftig ein Komplettpaket anbieten und nicht nur das Bild, sondern auch das Informationsprodukt liefern. Mittels geeigneter Algorithmen lassen sich aus den Daten Informationen gewinnen, die zur Ertragssteigerung im Bereich Land- und Forstwirtschaft beitragen, bei der Überwachung von Pipelines Lecks sichtbar machen oder bei der Suche nach Bodenschätzen helfen können.

Wir haben mit EnMAP ein System, das sehr viele Daten produziert und sogenannte Fingerabdrücke von der Erdoberfläche generieren kann.

EnMAP-Daten werden uns also dabei helfen können, die Erde nicht nur zu verstehen, sondern auch im Einklang mit den Ressourcen zu leben?

Rüdiger Schönfeld: Ja, so sieht es aus. Wir haben mit EnMAP ein System, das sehr viele Daten produziert und sogenannte Fingerabdrücke von der Erdoberfläche generieren kann. Vermutlich kennen wir heute noch gar nicht alle Möglichkeiten, die uns diese Daten bieten werden. EnMAP ist ja auch ein Demonstrator: Wir werden noch lernen, was für Informationen in den Daten stecken. Ich bin fest davon überzeugt, dass OHB angesichts wachsender gesellschaftlicher Aufgaben und einer zunehmenden kommerziellen Nutzung von Satelliten noch viele weitere Hyperspektralmissionen realisieren wird. Diese Kompetenz wird in der Branche bereits seit längerem wahrgenommen und stärkt unsere Reputation.

Mehr zum Thema Erdbeobachtung:

Was kann EnMAP?

Der Umweltbeobachter, den die OHB System AG im Auftrag der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR gebaut hat, wird im April 2022 in seinen Orbit reisen und von dort aus Veränderungen von Natur und Klima auf die Spur gehen.

Weiterlesen