09. April 2020. Das Corona-Virus Sars-CoV-2 hat innerhalb weniger Wochen die Welt, wie wir sie kannten, auf den Kopf gestellt. Mit dem Stichtag 8. April 2020 gab es rund um den Globus laut Statistik der Johns-Hopkins-Universität rund 1,5 Millionen Infizierte, mehr als 83.000 Menschen sind an der vom Virus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19 gestorben. Je nach Land oder Region breitet sich das Virus weiter in Besorgnis erregender Geschwindigkeit aus. Fast alle Staaten und Regierungen der Welt ergreifen Maßnahmen, die verhindern sollen, dass sich das Virus weiterverbreitet. In einigen Ländern sind diese Restriktionen massiv.
Ganze Volkswirtschaften sind zum Stillstand gezwungen
Vielfach ist das gesellschaftliche Leben stark eingeschränkt, oftmals gelten sogar Ausgangssperren. Ganze Volkswirtschaften sind zum Stillstand gezwungen, auch die deutsche. Das am 8. April veröffentlichte Frühjahrsgutachten der wichtigsten Wirtschaftsforschungsinstitute im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums sagt deshalb für 2020 eine Rezession voraus. „Unter diesen Annahmen“, schreiben die Konjunkturexperten, „schrumpft das Bruttoinlandsprodukt bereits im ersten Quartal 2020 um 1,9 % und bricht im zweiten Quartal um 9,8 % ein. Dies ist der stärkste je seit Beginn der Vierteljahresrechnung im Jahr 1970 gemessene Rückgang in Deutschland und mehr als doppelt so groß wie jener während der Weltfinanzkrise im ersten Quartal 2009“.
Unternehmen müssen Handlungsfähigkeit beweisen
Dies sind die Vorzeichen, unter denen Unternehmen in Deutschland ihre Handlungsfähigkeit im weiteren Verlauf dieser nie dagewesenen Herausforderung unter Beweis stellen müssen. Ich bin froh, dass es der Raumfahrt im Vergleich zu anderen Branchen noch besser geht und es die Marktschwankungen nicht in dem Maß auch bei uns gibt. In der Raumfahrt haben wir es überwiegend mit langfristigen Aufträgen zu tun, die eine langfristige Auslastung trotz der Krise gewährleisten. Doch machen wir uns nichts vor: Auch die Unternehmen der Raumfahrtindustrie werden in einigen Wochen merken, dass Komponenten von Zulieferern nicht mehr pünktlich kommen. OHB etwa hat natürlich auch Lieferanten und Partner aus Italien, Spanien oder Frankreich – Länder in Europa, die ganz besonders stark von der Corona-Pandemie betroffen sind. Und ich rechne auch damit, dass es bei der Auftragsvergabe zu Verzögerung kommen könnte.
Was kann man also als Unternehmen machen, um eine derartige Herausforderung zu bewältigen? Ich spreche natürlich seit einigen Wochen viel mit meinen Freunden und Bekannten über das Thema; viele von ihnen sind selbst in verantwortlichen Positionen in größeren Unternehmen, einige davon sind wie ich Inhaber und sorgen sich natürlich verständlicherweise um das Lebenswerk ihrer Familien sowie die daran hängenden Arbeitsplätze der Mitarbeiter. Ich gestehe, dass mich diese Gedanken auch umtreiben. Deshalb möchte ich an dieser Stelle gern beschreiben, was OHB getan hat und weiterhin tut, um unter den anfangs beschriebenen Vorzeichen handlungsfähig zu bleiben.
OHB hat früh Maßnahmen ergriffen
Zunächst haben wir schon früh, nämlich Ende Februar, ein Corona-Koordinationsteam gebildet, im dem sich Vertreter aus verschiedenen Unternehmensbereichen seither täglich treffen. Das Team trifft auf Basis aktueller Informationen und Entwicklungen Entscheidungen. Auf Grundlage dieser Entscheidungen informieren wir die Belegschaft sehr gezielt. Diese Informationspolitik folgt den Grundsätzen von Aktualität, Transparenz und Schnelligkeit. Dabei zählt für uns: Sorgfalt kommt vor Schnelligkeit. Vor allem liefern wir unseren Führungskräften einen Leitfaden, an dem sie ihre Entscheidungen in den Projekten und Abteilungen ausrichten können. Das wird von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern honoriert. Da wir sehr frühzeitig mit dem Krisenstab begonnen haben, konnten wir uns dadurch an der einen oder anderen Stelle sicherlich etwas besser darauf vorbereiten. Der Schutz der Belegschaft hat den absolut höchsten Stellenwert.
Diese Krise ist für die Belegschaft, für die gesamte Organisation, ein Stresstest. Und da würde ich uns als Unternehmen bis hierher ein positives Zeugnis ausstellen. Wir haben aber auch sicherlich eine vorteilhaftere Situation als derzeit viele andere Unternehmen, weil wir weiterhin relativ flächendeckend arbeiten können. Auch wenn wir kein Just-in-time-Fertigungsunternehmen sind, möchte ich trotzdem nicht unsere Sorge um die Zukunft runterspielen. Wir haben sicherlich einen etwas größeren Zeitpuffer als Unternehmen, die von der Just-in-time-Produktionszulieferung abhängen, aber wenn die jetzige Einschränkungswelle so anhält wie wir es befürchten müssen, wird es auch uns nicht erspart bleiben, weitere Maßnahmen vorzubereiten, um handlungsfähig zu bleiben.
Keiner von uns weiß im Moment, wie lange diese Krise, der Shut-Down und die an den Verlauf der Pandemie geknüpften Einschränkungen noch dauern werden. In unserem Tochterunternehmen OHB Italia in Mailand fahren wir schon seit einiger Zeit Kurzarbeit. Unser Tochterunternehmen MT Aerospace in Augsburg, in dem wir die Komponenten für die europäische Trägerrakete Ariane produzieren, hat bis 19. April verlängerte Betriebsferien über Ostern. Ob wir auch an anderen OHB-Standorten an Maßnahmen wir Betriebsferien oder Kurzarbeit denken müssen, hängt von der Dauer der Pandemie ab.
Werte haben weiterhin Gültigkeit
Wir machen uns alle Gedanken, wie es in Zukunft weitergehen wird, da schließe ich mich ausdrücklich mit ein. Und je nach Betroffenheit im persönlichen Umfeld durch Corona herrscht natürlich auch eine gewisse Unsicherheit. Aber es zeigt sich zum Glück, dass unsere OHB-Grundwerte Zusammenhalt, Vertrauen und die „Wir-schaffen-das“-Mentalität weiterhin Bestand haben. Nach anfänglichen Irritationen, wie man mit Einschränkungen etwa in der Lieferkette oder im öffentlichen Leben als Unternehmen umgeht, war sofort ein gemeinsames Engagement zu spüren. Wer im Unternehmen sein muss, der kommt, wenn er kann, steht dann seine Frau, seinen Mann. Wer entsprechend flexibler im Homeoffice arbeiten kann oder muss, der nutzt das. Und da gibt es niemanden, der da nicht mitzieht.
Politik muss auf Aufträge anstatt auf Förderungen setzen
Deshalb bin ich für unser Unternehmen recht zuversichtlich. Diese Zuversicht habe ich auch für die Raumfahrtindustrie. Allerdings sollten dort jetzt möglichst schnell kluge Instrumente eingesetzt werden, damit bestimmte Projekte und Programme möglichst ohne Verlust von Know-How, Arbeitsplätzen oder anderen Rückschlägen fortgeführt werden können. Wichtig ist aus meiner Sicht etwa, dass die Politik in dieser schwierigen Zeit weniger auf Förderungen, sondern mehr auf Aufträge setzt. Es existiert eine Reihe von nutzenbringenden Vorhaben, die zeitnah beauftragt werden könnten. Jetzt geht es darum, die Rolle der Raumfahrt durch mehr Anwendungen und durch eine Stimulierung der Nachfrage zu stärken. Denn die Notwendigkeit der Raumfahrt wird durch die Krise sichtbarer.
Die Europäische Kommission könnte etwa zügig mit Mitteln aus dem aktuellen Finanzrahmen zusätzliche Galileo-Satelliten bestellen, um die Genauigkeit und Schnelligkeit des Systems weiter zu erhöhen. Im Rahmen des Programms Copernicus, das wichtige neue Daten zum Klimawandel liefern wird, könnten die vorgesehenen sechs Missionen nun initiiert werden – die budgetäre Grundlage hierfür wurde von der ESA im November 2019 beschlossen und die Dringlichkeit, die Veränderungen unserer Umwelt besser zu verstehen, hat sich durch die Corona-Pandemie nicht verändert. Am Anfang könnten überproportional ESA-Mittel genutzt werden. Die EU könnte dann später, wenn der neue Finanzrahmen steht, nachziehen.
Wir werden in eine Wirtschaftskrise geraten, da sind öffentliche Ausgaben nicht so üppig wie ohne Krise. Trotzdem blickt unsere Branche weniger sorgenvoll in die Zukunft als andere Unternehmen: Die Resilienz der Raumfahrt-Branche in der aktuellen Situation liegt in unseren Produkten und Leistungen, die von ihrer Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit nichts verloren haben. Satellitensysteme sind für viele Branchen essentiell und bringen so einen Mehrwert für die Volkswirtschaft, der um ein Vielfaches größer ist als die originäre Investition. Deshalb dürfen Raumfahrtbudgets nicht schrumpfen, sondern müssen die über die vergangenen Jahrzehnte erarbeitete Leistungsfähigkeit der deutschen Raumfahrtindustrie auch weiterhin sichern.
Bleiben Sie gesund!
Zur Person
Marco Fuchs (Jahrgang 1962) studierte Rechtswissenschaften in Berlin, Hamburg und New York. Von 1992 bis 1995 arbeitete er als Anwalt in New York und Frankfurt am Main. 1995 trat er in das Unternehmen OHB ein, das seine Eltern aufgebaut hatten. Seit dem Jahr 2000 ist er Vorstandsvorsitzender der jetzigen OHB SE und seit 2011 der OHB System AG. Marco Fuchs ist verheiratet und hat zwei Kinder.