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„Der erste große Abschnitt ist fertig“

Interview mit Dr. Wolfgang Paetsch

Dr. Wolfgang Paetsch, Vorstand der OHB System AG, spricht im Interview über die Bedeutung des Galileo-Programms für OHB und warum es für das Team nach der Auslieferung der Satelliten des Batch 2 nahtlos mit der Arbeit weiter geht.

Am 31. Mai wurden die letzten beiden Galileo-Satelliten der zweiten Tranche nach Kourou geschickt. Welche Gefühlslage herrscht vor? Ist es die spannende Erwartung auf den nächsten Start oder die Coolness der Routine nach 22 gebauten Satelliten?

Wolfgang Paetsch: Das ist natürlich ein besonderer Termin für uns. Der erste Kreis schließt sich. Der erste große Abschnitt ist fertig. Wir haben 22 Satelliten gebaut, damit erreicht die Konstellation ihre erste nominelle Ausstattung.

Was bedeutet das eigentlich?

Eine Konstellation muss theoretisch mindestens 24 Satelliten in drei Orbits, also drei unterschiedlichen Ebenen im All, haben. Damit erreicht sie eine Überdeckung von 100 Prozent; mit anderen Worten: an jedem Ort der Welt hat man damit ein Signal. Und damit kann die Positionierung betrieben werden. Es ist eine grundsätzliche Frage der Abstrahlung der Signale, dass man mindestens 24 Satelliten benötigt, um an jedem Punkt der Welt eine bestimmte Signalabdeckung zu erreichen. Dazu kommt: man benötigt den Kontakt zu vier Satelliten gleichzeitig, um positionieren zu können. Man fügt dann noch zusätzliche Ersatzsatelliten hinzu, sogenannte Spares, um auch dann die Abdeckung zu garantieren, wenn ein Satellit mal Probleme haben sollte.

Das ist dann Batch 3. Wie geht es jetzt weiter, wenn die letzten vier Satelliten aus der zweiten Tranche im All sind?

Nach dem Start folgt zunächst eine Testphase, die in Summe rund ein halbes Jahr dauert. Erst danach gehen sie in den Servicebetrieb. Dann – Ende 2018 – ist die Konstellation komplett. Die Produktion von Batch 3 wird so laufen, dass wir den ersten Start für 2020 planen.

Man kann davon ausgehen, dass im Schnitt ab 2020 jährlich zwei Galileo-Satelliten gestartet werden.

Das heißt, 2019 werden die ersten der neuen Galileo-Satelliten gebaut. Wann werden alle zwölf fertig sein?

 Die ersten beiden werden Ende 2020 fertig werden. Dann werden etwa alle drei Monate zwei weitere fertig werden. Solange, bis alle zwölf fertig gebaut sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle zwölf dann auch gleich gestartet werden. Mit Sicherheit schnell gestartet werden alle nominellen Ersatzsatelliten. Und danach ist es auch eine Frage der Lebensdauer der Satelliten. Neben unseren 22 sogenannten FOC-Satelliten, gibt es ja noch die vier IOVs, also die Satelliten, die als In-Orbit-Validation-Satelliten für den Test der Technologie ins All geschickt wurden. Da war der erste Start schon 2011. Bei einer nominellen Lebensdauer von zehn bis zwölf Jahren erreichen diese Satelliten das Ende der Lebensdauer schon um 2023. Ob es dann schon nötig sein wird, Ersatzsatelliten zu starten, wird man sehen, aber ab einem bestimmten Zeitpunkt ist es ein Gebot der Risikominimierung, diese Spares ins All zu bringen. Man kann davon ausgehen, dass im Schnitt ab 2020 jährlich zwei Galileo-Satelliten gestartet werden.

Was heißt das denn für die OHB-Kollegen, die sich bislang um Batch 2 gekümmert haben? Wird sich in den Teams etwas ändern?

In den Teams wird sich nicht viel ändern. Die Kolleginnen und Kollegen, die an Batch 2 gearbeitet haben, werden sozusagen in aller Eile vom Startplatz in Kourou zurück nach Bremen zu OHB hasten, um Batch 3 in einem nahtlosen Übergang zu beginnen. Es ist also ausreichend Druck auf dem Kessel.

Wenn wir schon beim Blick in die Zukunft sind, lassen Sie und doch bitte noch ein wenig weiter in die Zukunft schauen. Sie haben von Druck auf dem Kessel gesprochen und erklärt, dass man ab Mitte der 2020er Jahre schon gut absehen kann, wann auch die restlichen zwölf Satelliten ersetzt werden müssen. Laufen die Planungen für Batch 4 bereits und wenn ja, was tut sich da bei OHB?

Die Europäische Kommission hat ja schon vor einiger Zeit die Europäische Raumfahrtagentur damit beauftragt zu prüfen, wie eine nächste Generation der Galileosatelliten aussehen könnte. Es sind bei unterschiedlichen Firmen in Europa dazu parallele Studien gelaufen, die jeweiligen Ergebnisse sind übermittelt worden. Die Kommission hat sich daraufhin entschieden, die Ausschreibung für ein sogenanntes „Transitional Batch“ zu starten. Das hat gerade angefangen. Die Anforderungen dafür liegen auf dem Tisch.

Was bedeutet „Transitional Batch“?

Es sind Satelliten, die die Übergangsphase von der jetzigen zu einer noch weiter entwickelten Generation der Galileo-Satelliten bilden sollen.

Welche Veränderungen zur vorherigen Generation wird es geben?

Man strebt die Verbesserung der Signale und der Services, kostenoptimierter Betrieb, erhöhte Sicherheit an. Die Entwicklungen dazu werden in den nächsten Monaten gestartet. Das beginnt mit Vorstudien und Studien, bis ein Punkt erreicht ist, an dem das Konzept reif ist für die Entwicklung. Das wird dann quer über Europa Aktivitäten lostreten unterschiedlichster Art. Das soll nach rund fünf Jahren soweit gediehen sein, dass dann die Satelliten dieses Batches fertig sind. Ausgehend von den Planungen der Kommission würde die Entwicklung dieser Satelliten 2024 beendet sein, dann sind auch die letzten Satelliten aus Batch 3 im All und die Lebensdauer der ersten Galileos ist am nominellen Ende angekommen. Das passt also alles sehr gut zusammen.

Der Nutzen für den Endkunden wird noch stärker im Vordergrund stehen, mit noch höherer Signalstärke, mit noch höherer Signalsicherheit mit noch höherer Genauigkeit und schnellerer Positionsbestimmung.

 

Was ist denn der größte Unterschied der nächsten Generation zur jetzigen Generation?

Der Nutzen für den Endkunden wird noch stärker im Vordergrund stehen, mit noch höherer Signalstärke, mit noch höherer Signalsicherheit mit noch höherer Genauigkeit und schnellerer Positionsbestimmung. Das wird vor allem in Straßenschluchten, in Gebäuden oder bewegten Objekten von Vorteil sein.

Zurück in die Gegenwart. „Anna“ und „Ellen“ folgen jetzt also „Tara“ und „Samuel“ nach Kourou und werden bald um die Erde flitzen. Wie ist das denn für die Ingenieure bei OHB? Wird es da auch ein bisschen Wehmut geben bei diesem Abschied?

Mit Sicherheit wird es das geben, die Kolleginnen und Kollegen haben ja viel Zeit und Leidenschaft investiert. Da ist immer ein lachendes und ein weinendes Auge dabei. Das Lachende ist, dass nach vielen Auf und Abs dieses Projekt ein gutes Ende findet. Alle freuen sich riesig darüber. Das Weinende ist, dass sich natürlich viele Kolleginnen und Kollegen – auch ich selbstverständlich – fragen: kann dieses Kapitel wirklich schon zu Ende sein? Die Zeit ist doch viel zu schnell vergangen. Aber diese Trauer währt nur kurz. Wie erwähnt: es geht nahtlos weiter mit Batch 3. Nichts ist süßer als Erfolg – und den wollen wir alle fortsetzen. Das macht den Geist der Truppe aus: wir wollen es gemeinsam weiter so gut schaffen.

Ist das nicht auch eine Last? Dass alle Welt eigentlich inzwischen davon ausgeht, dass es funktioniert. Wie geht man um mit dieser Selbstverständlichkeit?

Selbstverständlichkeit ist der größte Feind für das eigentliche Ziel. Eine gewisse Prise Paranoia ist hilfreich. Denn nur der ständige Zweifel sorgt dafür, dass man ständig auf der Hut ist. Gerade in einer Serienfertigung muss man ständig dafür sorgen, dass man bei jedem Handgriff genauso sorgfältig arbeitet, wie beim ersten. Und das tun wir. Gegen Ende hin sollte man sogar zwei, drei Mal mehr kontrollieren, um diesen Routineeffekt zu kompensieren.

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Und was ist mit dem Stolz? Wie groß ist der denn im Hinblick auf das Erreichte?

Dazu kann man drei Dinge sagen. Erstens: wir freuen uns. Zweitens: wir freuen uns. Und drittens: wir freuen uns. Das drückt es aus. Hinzu kommt, dass für die meisten von uns die Chance nicht wiederkommen wird, eine Konstellation zu bauen. Macht man sich das bewusst, freut man sich auch, wenn mal was nicht wie geplant klappt. Der Stolz und die Freude sind also immer gegeben, allerdings ohne in Arroganz zu enden.

Zahlreiche OHB-Mitarbeiter werden ja rund um den Raketen-Start und auch schon in der Testphase davor in Kourou sein. Was genau ist ihr Auftrag?

Diejenigen, die die Satelliten begleiten, passen im Wesentlichen auf. Einige Leute sind nur für die Sicherheit zuständig. Es ist aber auch immer jemand dabei, der schnell handeln kann, sollte auf dem Weg etwas mit der Klimaanlage im Container nicht in Ordnung sein. Das hört sich lapidar an, aber sollte etwas passieren, dann wären die Auswirkungen enorm. Man müsste den gesamten Satelliten wieder zurückschicken, einen kompletten Grundtest machen und alles noch einmal auf Herz und Nieren zu prüfen. Deshalb gilt es diesen Fall um jeden Preis zu verhindern. Aufpassen in allen Bereichen ist also beim Transport erste OHB-Mitarbeiterpflicht!

Erstens: wir freuen uns. Zweitens: wir freuen uns. Und drittens: wir freuen uns. Das drückt es aus.

Und wie läuft es dann in Kourou?

Da haben wir im Schnitt acht bis fünfzehn Kolleginnen und Kollegen. Je nachdem, welche Tests durchgeführt werden müssen, sind es mal mehr und mal weniger. Alle Subsysteme werden durchgetestet, die Elektronik, das Antriebssystem, die Sensoren, die Signale. Alle Grundfunktionen müssen normal funktionieren. Das erfolgt in einer ganz bestimmten Abfolge, die mit allen Partnern besprochen ist. Für vier Satelliten benötigt man vom Zeitpunkt der Ankunft bis zur Montage auf der Rakete neun Wochen.

Bei wie vielen Starts waren Sie dabei?

Der nächste ist der achte.

Ist das dann immer noch spannend?

Selbstverständlich! Ich bin immer sehr gerne dabei!

Im Video: Dr. Wolfgang Paetsch mit Fakten und Hintergründen zum Galileo-Programm.