In der aktuellen Weltlage gewinnt die strategische Aufklärung immer mehr an Bedeutung – spätestens der russische Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 hat das noch einmal verdeutlicht. Der Aufklärung mit Satelliten kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle zu, da aus dem Weltraum Aufnahmen von beliebigen Punkten auf der Erdoberfläche gemacht werden können, ohne dabei die Hoheitsrechte anderer Staaten zu verletzen. Dadurch können auch im Konfliktfall gefahrlos Informationen gesammelt werden.
Insbesondere dynamische Lagen wie der Ukrainekrieg erfordern eine ständige und gezielte Überwachung, die nur durch eine flexibel einsetzbare, souveräne Infrastruktur gewährleistet werden kann. Aus diesem Grund besitzt Deutschland seit 2007 mit SAR-Lupe ein eigenes Satellitenaufklärungssystem. Mit dem aktuell in der Fertigstellung befindlichen Nachfolgesystem SARah steht nun die nächste Generation von Aufklärungssatelliten kurz vor der operationellen Nutzung.
Den Anstoß für die Beschaffung eines eigenen deutschen Satellitenaufklärungssystems gab unter anderem der Kosovokrieg von 1998 bis 1999. Zwar existierten schon davor Pläne für ein Aufklärungsprogramm, dieses sah allerdings eine enge Partnerschaft mit Frankreich vor. Der deutsche Anteil, ein Radarsatellit mit dem Namen Horus, wurde letzten Endes aus Kostengründen 1998 verworfen. Während des Kosovokriegs zeigte sich aber, dass ohne eigene Fähigkeiten zur Satellitenaufklärung eine starke Abhängigkeit vom NATO-Partner USA bestand, der seinen europäischen Verbündeten allerdings nur wenige und stark gefilterte Bilder zur Verfügung stellte.
Vom Einzelsatelliten zur Satellitenkonstellation
Da sich dieser Zustand mehr und mehr als strategischer Nachteil entpuppte, wurde nach Alternativen zu der im Rahmen der Partnerschaft mit Frankreich geplanten Satellitenentwicklung gesucht. Ergebnis war ein Paradigmenwechsel: Anstatt eines einzelnen und mit geschätzten Kosten von bis zu fünf Milliarden D-Mark (etwa 2,6 Milliarden Euro) sehr kostspieligen großen Satellitensystems sollte eine Konstellation aus fünf kleinen Radarsatelliten realisiert werden. In Anlehnung an das von den Satelliten verwendete Messprinzip und die Fähigkeit der Satelliten, besonders interessante Regionen mit verbesserter Auflösung aufzunehmen, wurde das Projekt auf den Namen SAR-Lupe getauft, wobei SAR für Synthetic Aperture Radar (deutsch: Radar mit synthetischer Apertur) steht. Ursprünglich angesetzter Kostenpunkt: 370 Millionen Euro.
Der Vertrag über die Realisierung von SAR-Lupe durch ein von der OHB System AG als Hauptauftragnehmer geführtes europäisches Konsortium wurde am 17. Dezember 2001 unterzeichnet. Die Starts der fünf Satelliten erfolgten – heute undenkbar – zwischen 2006 und 2008 mit Kosmos-3M-Trägerrakten vom russischen Kosmodrom Plessezk. Das System ist seit Dezember 2007 operativ, das volle Leistungsspektrum kann seit 2008 abgerufen werden. Alle Satelliten sind auch nach der 2001 vertraglich vereinbarten Missionsdauer bis heute funktionsfähig und werden von OHB betrieben.
Welche Vorteile bieten Radarsatelliten?
Die fünf Satelliten der SAR-Lupe-Konstellation sind baugleich und umkreisen die Erde auf einer mittleren Bahnhöhe von 500 Kilometern auf polnahen Umlaufbahnen. Als Nutzlast tragen die Satelliten ein SAR, das die Aufnahme hochauflösender Bilder von nahezu jedem Ort der Erde erlaubt. Anders als bei optischen Systemen hängt die Aufnahmefähigkeit der Satelliten dabei kaum von Wetter- oder Lichtverhältnissen ab. Da Radarsatelliten aktiv elektromagnetische Impulse aussenden, die von Trübungen der Atmosphäre nur wenig beeinflusst werden, liefern sie auch bei Dunkelheit und durch eine dichte Wolkendecke hindurch weiterhin zuverlässig Bilder. Zudem werden Radarimpulse von Wasser und Metall besonders gut reflektiert, wodurch Infrastruktur, Fahrzeuge und Waffensysteme besonders gut erkannt werden können. In einigen Fällen können sogar durch Bäume, Tarnnetze und die oberste Bodenschicht hindurch Aufnahmen gemacht werden. Ein weiterer Vorteil von Radarsatelliten ist, dass diese auch die Bewegungsgeschwindigkeit von Objekten und Höhenunterschiede im Gelände präzise erfassen können.
Eine Besonderheit der SAR-Lupe-Satelliten ist die Möglichkeit zur Durchführung unterschiedlicher Flugmanöver in Abhängigkeit vom Einsatzszenario: Im sogenannten Strip-Map-Modus nehmen die Satelliten im Überflug (Geschwindigkeit über dem Boden etwa sieben Kilometer pro Sekunde) große Flächen mit moderater Auflösung auf. Diese Bilder liefern in erster Linie einen Überblick über eine gegebene Situation. Zur genauen Beobachtung besonders interessanter Ziele kann von allen Satelliten zusätzlich das sogenannte Spot-Light-Manöver durchgeführt werden. Bei diesem dreht sich der Satellit beim Überflug über das anvisierte Ziel, wodurch er seine Eigenbewegung teilweise kompensiert, die Beleuchtungszeit steigt und in Flugrichtung deutlich höhere Auflösungen erreicht werden können. Eine Drehung des gesamten Satelliten ist notwendig, da die Radarantenne unbeweglich angebracht ist. Die Ausrichtung und Stabilisierung der Satelliten während der verschiedenen Manöver wird durch Reaktionsräder realisiert, die vorhandenen chemischen Triebwerke dienen in erster Linie der Orbitalkontrolle.
Bilderzeugung am Boden
Die SAR-Lupe-Satelliten selbst erzeugen keine für Menschen interpretierbaren Bilder. Die aufgezeichneten Informationen werden lediglich als Rohdaten der Radarechos in Form von Zahlenkolonnen erfasst, auf den Satelliten gespeichert und bei der nächsten Gelegenheit an das Bodensegment in Deutschland übermittelt. Erst durch die Weiterverarbeitung der Rohdaten am Boden entstehen Bildprodukte, die von geschultem Personal analysiert und interpretiert werden können.
Von SAR-Lupe zu SARah
SAR-Lupe wurde für eine Betriebsdauer von zehn Jahren konzipiert. Diese Mindestlebensdauer haben die Satelliten mittlerweile bereits um Jahre überschritten. Obwohl sie weiterhin im Dienst sind und zuverlässig Bilder liefern, sollen sie in naher Zukunft durch das Nachfolgesystem SARah ergänzt und schließlich ersetzt werden, denn das Risiko von Fehlfunktionen steigt mit zunehmender Verweildauer der elektronischen Komponenten im All.
Die Realisierung von SARah befindet sich aktuell in den letzten Phasen der Umsetzung. Als Hauptauftragnehmer fungiert erneut die OHB System AG, Kunde ist das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg), vertreten durch das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw).
SARah ist eine direkte Fortführung des SAR-Lupe-Programms und umfasst drei Satelliten und zwei Bodenstationen. Anders als bei SAR-Lupe sind bei SARah nicht alle Satelliten baugleich: Zwei basieren auf einer Weiterentwicklung der bewährten Reflektortechnologie von SAR-Lupe, während der dritte ein Satellit mit Phased-Array-Radartechnologie ist. Letzterer wird von Airbus Defence and Space als Hauptunterauftragnehmer beigesteuert. Durch die Kombination der verschiedenen Satellitentypen können die Vorteile der einzelnen Technologien für das Gesamtsystem genutzt werden. Im Vergleich zu SAR-Lupe hat das SARah-System eine gesteigerte Bildauflösung und Szenengröße. Durch mehr Speicherkapazität auf den Satelliten kann zudem eine größere Anzahl an Bildern pro Tag aufgenommen werden. Weiterhin erlaubt die Nutzung von mehreren Bodenstationen eine beschleunigte Übertragung der aufgenommenen Daten zum Boden. Dadurch kann die Systemantwortzeit, also die Zeitspanne von der Anfrage bis zur Rückgabe der gewünschten Bilder, deutlich reduziert werden.
SARah-1, der von Airbus Defence and Space gefertigte Phased-Array-Satellit, wurde am 18. Juni 2022 erfolgreich mit einer Falcon-9-Rakete vom Space Launch Complex 4 der Vandenberg Space Force Base in Kalifornien gestartet. Kurz darauf erreichte er seinen Zielorbit und bestand die Überprüfung seiner Leistungsfähigkeit, sodass der operationelle Teilbetrieb des SARah-Systems durch den militärischen Nutzer am 1. Oktober 2023 gestartet werden konnte. Durch die Aufnahme der operativen Nutzung des ersten SARah-Satelliten konnte ein Zugewinn an Fähigkeiten für die militärische Aufklärung erzielt werden. Dies ist ein entscheidender Faktor für die Bewertung der aktuellen weltweiten Sicherheitslage.
SARah-2 und SARah-3, die beiden von OHB gebauten Reflektorsatelliten, sollen im Dezember 2023 ebenfalls von der Vandenberg Space Force Base in Kalifornien aus ihre Reise ins Weltall antreten.