Das Space Debris Center of Competence bei OHB bietet seit anderthalb Jahren Unterstützung mit Erfahrung und Analysen zur Verringerung von Weltraumschrott an. Ein weiteres Ziel des Centers ist die Weiterentwicklung von OHB-Prozessen, um Weltraummüll möglichst zu vermeiden. Dazu gehören auch der Aufbau und die Wartung einer Wissensdatenbank. Im Interview spricht Dr. Charlotte Bewick, Koordinatorin des Space Debris Center, über die Gefahren von Weltraumschrott für Raumfahrzeuge und Menschen sowie den Beitrag, den OHB zur Reduzierung von Weltraummüll leistet.
Weltraumschrott – warum interessiert uns der eigentlich? Ist das nicht weit genug weg?
Dr. Charlotte Bewick: Weltraummüll, also von Menschen gemachter Schrott, kann zu einer großen Gefahr werden, weil die Teilchen Astronauten, Satelliten sowie andere Raumfahrzeuge treffen und beschädigen könnten.
Wie viel Schrott ist denn da oben?
Bewick: Es gibt bestimmte Orbits, die sind ziemlich kontaminiert. Besonders in 700 bis 800 Kilometern Höhe. Dort gibt es kaum noch bremsende Atmosphäre. Dadurch verbleiben Objekte in diesen Höhen hunderte, manchmal sogar tausende Jahre. Gleichzeitig befinden sich in diesem Bereich viele Satelliten, da diese Bahnen für Erdbeobachtungsmissionen besonders geeignet sind. Unterhalb von 400 km verglühen Schrottteilchen innerhalb weniger Jahre beim Eintreten in die Erdatmosphäre.
Welche Möglichkeiten gibt es, um den Weltraumschrott zu beseitigen?
Bewick: Man kann für den kontrollierten Wiedereintritt in die Erdatmosphäre sorgen, in dem man den Satelliten entweder so konstruiert, dass er nach Dienstende quasi von alleine in die Erdatmosphäre eintritt und verglüht, oder man führt ein entsprechendes Manöver durch, welches zu einem kontrollierten Wiedereintritt führt. Während meiner Doktorarbeit habe ich zudem an Methoden gearbeitet, kleinere Satelliten nur mit Hilfe des Sonnendrucks und durch den Luftwiderstand der Restatmosphäre wiedereintreten zu lassen. Auch diese Techniken des antriebslosen Wiedereintritts verfolgen wir im Center mit Interesse. Wir im Space Debris Center beraten die Projektteams bei OHB, wie bei der Satellitenproduktion bestimmte Richtlinien eingehalten werden können, um zu verhindern, dass durch unsere Satelliten noch mehr Weltraumschrott entsteht.
Es gibt also Regeln zur Vermeidung von Weltraummüll? Erzähl …
Bewick: Klar, es gibt die ISO 24113 und den Standard der European Cooperation for Space Standardization (ECSS). Die Regeln der ISO-Norm sind quasi unsere 10 Gebote und definieren die primären Anforderungen an die Vermeidung von Weltraummüll. Die ISO besagt auch, dass Satelliten im Low Earth Orbit, also im niedrigen Orbit, nur 25 Jahre verweilen dürfen. Wir im Space Debris Center berechnen mit einer speziellen Software, ob der Satellit nach 25 Jahren von alleine wieder in die Erdatmosphäre eintritt oder ob wir ein Manöver benötigen. Bei der Produktion können wir darauf achten, Materialien mit einem bestimmten Schmelzpunkt zu verwenden, die leichter verglühen. Sollte ein Manöver nötig werden, gibt es weitere Aspekte zu bedenken: Wir brauchen dann mehr Treibstoff, folglich größere Tanks, Düsen und vieles mehr.
Wisst ihr auch, wo besonders viel Müll ist, damit von OHB gefertigte Satelliten dem aus dem Weg gehen können?
Bewick: Es gibt zum Beispiel DISCOS, die Weltraumschrott-Datenbank der Europäischen Weltraumbehörde ESA. Und der Müll wird immer mehr. Wenn wir deswegen irgendwann keine Missionen mehr in den Orbit starten können, wäre das eine Katastrophe, weil uns dann wichtige Erkenntnisse fehlen und das Leben auf der Erde ohne Satellitentechnik nicht mehr vorstellbar ist.
Katastrophen? Oha! Gab es diese schon? Crash im All?
Bewick: Ja, leider. Populär ist vor allem die Kollision der Kommunikationssatelliten Kosmos 2251 und Iridum 33 vor ziemlich genau zehn Jahren in einer Höhe von knapp 800 Kilometern. Durch die Geschwindigkeit der beiden Satelliten entstand bei der Kollision eine riesige Staubwolke mit über 100.000 Einzelstücken.
Spektakulär! Gab es in der Vergangenheit noch mehr solcher Ereignisse?
Bewick: Bekannt ist auch der gezielte Abschuss eines defekten chinesischen Wettersatelliten der Fengyun-Reihe durch China, um zu zeigen, dass sie es können. Mittels einer Rakete haben die Chinesen den Satelliten 2007 vom Boden aus zerstört und er zerbrach dabei in über 40.000 Trümmerteile, die in verschiedene Umlaufbahnen geschleudert wurden.
Ganz schön viel los da oben. Da habt ihr im Space Debris Center sicherlich alle Hände voll zu tun?
Bewick: Das stimmt. Wir beraten zum einen die Teams zum Regelwerk rund um Space Debris, damit diese frühzeitig Designentscheidungen treffen können, planen Entsorgungsmanöver für unsere Satelliten und berechnen, wie lange diese im Orbit überleben und was während und nach des Wiedereintritts passiert.
Weshalb ist der Wiedereintritt denn so interessant?
Bewick: Die meisten Komponenten, die wir aus Satelliten verwenden, verglühen während des Wiedereintritts. Allerdings gibt es auch Equipments, welche aus Materialien mit hohem Schmelzpunkt bestehen, zum Beispiel Befestigungen aus Titanlegierungen, stabil gebaute Satellitentanks und die Linsen und Spiegel unserer optischen Instrumente. Hier wird von uns in komplexen Simulationen berechnet, wo diese Teile wahrscheinlich landen und mit welcher kinetischer Energie, um das Risiko für Schäden und Verletzungen zu minimieren zu können. Auch hier gibt es strenge Regeln, an die wir uns halten müssen. In verschiedenen Technologiestudien forschen wir an neuen Materialien und Methoden, um die Anzahl und Masse der überlebenden Teile noch weiter zu verringern.
Wenn du einen Blick in die Zukunft wirfst, was brauchen wir, um das Problem zu lösen?
Bewick: Wir bräuchten einen orbitalen Abschleppdienst. Dazu gibt es schon viele interessante Studien und Missionsentwürfe. Leider findet sich aber aktuell noch niemand, der so eine Mission komplett bezahlen will, denn eine Weltraummüllabfuhr ist leider nicht so prestigeträchtig wie die großen Wissenschaftsmissionen. Die internationale Gemeinschaft muss sich zusammensetzen und gemeinsam eine Lösung finden. Es ist Zeit, zu handeln.