Haben Sie schon mal über sechs Monate lang knapp zwei Stunden Sport am Tag gemacht? Unvorstellbar? Für Alexander Gerst auf der Internationalen Raumstation ISS ist das Alltag. Denn durch den Aufenthalt in der Schwerelosigkeit ginge es der Muskel- und Knochenmasse des deutschen ESA-Astronauten sonst an den Kragen. Darum schwebt mit Astro Alex, wie er sich in den sozialen Netzwerken nennt, auch ein bisschen Bremen rund 400 Kilometer über der Erde. Denn das Bremer Raumfahrtunternehmen OHB hat drei der Muskelmessgeräte MyotonPRO für Experimente auf der ISS qualifiziert.
Myoton PRO bei OHB getestet
Der 42-jährige Astronaut misst damit, wie sich die Muskelspannung in der Schwerelosigkeit verändert. Die Untersuchungen mit Unterstützung der ESA und des DLR werden von pROF: Dr. Dieter Blottner von der Charité Berlin koordiniert. Wissenschaftler setzen große Hoffnung in die Ergebnisse der Experimente. Sie erhoffen sich, dadurch Muskelerkrankungen oder Sportverletzungen auf der Erde künftig besser diagnostizieren und behandeln zu können. Auch für das Training im All sollen die Tests Aufschluss geben.
„Myotones ist ein Experiment zur Überwachung von Ton, Steifigkeit und Elastizität der Muskeln, die für den neuromuskulären Status entscheidend sind, wenn man langfristig der Schwerelosigkeit ausgesetzt ist“, sagt Antonella Sgambati, Senior System Engineer und Myotones-Projektleitung bei der OHB System AG. Dies geschieht mit dem nichtinvasiven, tragbaren Gerät in der Größe eines Smartphones namens MyotonPRO. Das Gerät der Firma Myoton AS aus Estland ist bereits auf dem Markt erhältlich. Dennoch kann man das kleine Gerät nicht mal eben so ins All nehmen. Durch Vibrationen und Schwerelosigkeit könnte das Gerät zerbrechen – das wäre für die Astronauten sehr gefährlich. Daher hat das Myotones-Team der Abteilung Astronautische Raumfahrt und Exploration bei OHB das Display-Glas so getestet und verändert, dass es im Gerät bleibt, sollte es zerbrechen. Auch die Batterie und ihre Wiederaufladbarkeit hat das OHB-Team vorab auf Herz und Nieren geprüft. Das überraschende Ergebnis: eine handelsübliche Batterie von VARTA hat die Sicherheits- und Umwelttests überlebt und kreist jetzt in dem kleinen Gerät rund eineinhalb Mal in der Stunde um die Erde.
Zeig her deine Muskeln: Astro Alex auf dem Myotones-Prüfstand
Jedes Experiment an Bord starte mit einer Messung mit dem Gerät MyotonPRO. In einem Vorab-Test im Juni wurde Alexander Gerst an Rücken, Armen, Beinen und Füßen getestet. Mehr dazu im Videoclip:
„Für das Myotones-Experiment benötigt man zwei Crewmitglieder. Einer ist immer Testperson und die andere Person wird getestet. Die Testperson wird in der Schwerelosigkeit fixiert“, sagt Antonella Sgambati. Und wie funktioniert nun die Vermessung? Alexander Gerst wird der kleine Messstift am Gerät auf die Haut gesetzt. Dabei entsteht eine Hautschwingung, die das Gerät auswertet und so Muskeleigenschaften erkennen kann. Die Daten werden über das OHB EPM Rack zur Erde übertragen. Koordiniert wird die Übertragung durch OHB und CADMOS im Space Center Toulouse.
Ein Nutzen für die Menschheit
Auf der Erde werden die Daten an die Charité Berlin übermittelt und dort ausgewertet. Verantwortlich für das Experiment auf der ISS ist dort Prof. Dr. Dieter Blottner. Um die Daten umfassend auswerten zu können, wird Alexander Gerst noch einmal in der Mitte und am Ende der Mission untersucht. So können die Veränderungen von Gersts Muskulatur nach drei und sechs Monaten in der Schwerelosigkeit sehr genau erfasst werden. Dabei wurden auch Ultraschall- und Blutmessungen mit dem Myotones Blood Measure Kit von OHB vorgenommen.
Mit dem Experiment kann unter anderem der Erfolg seiner Trainingsprogramme auf der ISS gemessen und bewertet werden. Auf der Erde dienen die Erkenntnisse zur Verbesserung von Rehabilitations- und Trainingsprogrammen. Erkrankungen der Muskeln, der Knochen oder des Bindegewebes sind ein häufiger Grund für Arbeitsunfähigkeiten. Vor diesem Hintergrund sind optimierte Therapien, Trainingsprogramme und eine objektive Bewertung des Muskelstatus sowie der Effektivität wichtig. Das Experiment wird nicht nur von der Charité Berlin, sondern auch vom DLR Raumfahrtmanagement und der ESA gefördert.
Es ist die Art von Forschung, die dazu beitragen könnte, das Leben vieler Menschen auf der Erde zu verbessern und die Raumfahrt zu unterstützen. Ellenbogen- und Rückenschmerzen sind häufige Beschwerden für Büroangestellte und Schwergewichtige. Während ältere Menschen, Menschen mit längerer Bettruhe und Menschen, die einen sitzenden Lebensstil führen, oft von Steifheit oder Funktionsverlust betroffen sind. „Wir denken, dass das Gerät das Potenzial hat, einen Nutzen für die Menschheit zu haben“, sagt Dr. Marco Berg, Leiter der Abteilung Astronautische Raumfahrt und Exploration.
Sogar Captain Kirk berichtet über Myotones: