05. Juli 2019. Kürzlich führte mich eine meiner Dienstreisen nach Osterholz-Scharmbeck. Das Städtchen liegt nur rund 25 Kilometer von Bremen entfernt. Dort habe ich am „Tag der Luft- und Raumfahrt“ teilgenommen. Eine Veranstaltung, die der Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Osterholz, Andreas Mattfeldt, organisiert hatte. Neben einer Diskussionsrunde, an der auch ich teilnehmen durfte, gab es dort aber vor allem den Vortrag des Astronauten Alexander Gerst zu sehen. Und ich war wirklich begeistert und beeindruckt zugleich, welche Wirkung Gerst mit seinem Vortrag erzeugte. Der Mann ist ein absoluter Star. Ich kam mir zeitweise vor wie auf einem Pop-Konzert. Teenager standen an der Bühne Schlange für ein Autogramm von „Astro-Alex“. Die Halle war voll bis unters Dach.
Ähnliches haben wir schon im vergangenen Oktober in Bremen beobachten können, als der International Astronautical Congress IAC in der Bremer Messe zu Gast war. Als der weltgrößte Raumfahrtkongress am 3. Oktober seine Tore für die Allgemeinheit öffnete, war der Andrang riesig und wir haben vor allem von vielen Bremer*innen Besuch an unserem Messestand gehabt. Das Interesse an „Raumfahrt made in Germany“ war dabei riesig (wobei der Lokalpatriotismus bei den Binnen-Bremer*innen natürlich auf die Raumfahrt aus der „City of Space“ fokussiert war) und hat uns sehr deutlich gezeigt, dass wir als einstige Exotenbranche wirklich in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.
Die Raumfahrt ist eine boomende Branche geworden
Beim IAC war Alexander Gerst noch per Live-Schalte von der ISS mit Bremen im Gespräch, seit seiner Rückkehr begeistert er die Menschen mit seinen Eindrücken und Berichten zum Leben im All. Die Begeisterung der Zuschauer über den Auftritt des deutschen Raumfahrers war so groß, dass ich mich auf dem Weg zurück in die Firma bei dem Gedanken ertappte: im Grunde müsste man ein eigenes Programm mit Alexander Gerst auf die Beine stellen und mit ihm damit auf Tour gehen. Ich bin überzeugt, dass er damit noch viel größere Hallen füllen würde – und die Raumfahrt insgesamt würde noch mehr Anhänger finden. Das wäre ungemein wichtig in Zeiten, in denen alle Unternehmen der Branche händeringend Ingenieure suchen.
Denn die Raumfahrt ist eine boomende Branche geworden. Das hat nicht zuletzt mit Aufritten wie dem von Alexander Gerst in Osterholz-Scharmbeck zu tun, der durch seine Social-Media-Kommunikation und die tollen Bilder aus dem All unsere Branche für vor allem junge, technikaffine Menschen ins Blickfeld gerückt hat. Es hat aber auch damit zu tun, dass es der Branche gelungen ist, den Nutzen der Raumfahrt für die Allgemeinheit verständlicher zu machen. Satelliten von OHB etwa, die die Erde umkreisen, sorgen dafür, dass die Wirtschaft effizienter und das Leben komfortabler und einfacher abläuft. Das hat dazu geführt, dass in den vergangenen Jahren auch wieder mehr Geld in solche Programme investiert wurde, zudem haben auch wissenschaftliche Missionen in die Erforschung des Alls wieder mehr Aufmerksamkeit erhalten.
Harter Wettkampf um die besten Köpfe
All das hat zur Folge, dass Arbeitskräfte in der Hochtechnologie begehrt sind, deshalb besteht in unserer Industrie nahezu Vollbeschäftigung. Arbeitgeber müssen folglich einen harten Wettkampf um die besten Köpfe führen. Als Unternehmen muss man sich dieser Entwicklung anpassen und einen anderen Zugang zu dieser Herausforderung finden.
Attraktiv zu sein als Arbeitgeber und dies auch möglichst bei allen, die sich für die Themen der Raumfahrt interessieren, ist deshalb ungeheuer wichtig geworden. Ich bin auch sehr überzeugt davon, damit schon sehr früh anzufangen, also bereits in Schulen dafür zu werben, sich für die Fächer in Naturwissenschaft und Technik zu begeistern. Und auch da sind Astronauten eine große Hilfe, das haben wir als Unternehmen kürzlich selbst erleben dürfen. Kolleg*innen von OHB haben ein Programm mit dem Astronauten Matthias Maurer am Ökumenischen Gymnasium in Bremen organisiert. Die Schüler waren begeistert. Auch hier haben wir auf die Strahlkraft einer Identifikationsfigur gesetzt und daraus gelernt, dass wir noch mehr und intensiver nach „Role Models“ für den MINT-Bereich suchen müssen. Gerade junge Menschen müssen Vorbilder haben, an denen sie sich orientieren können, die ihnen zeigen, dass scheinbar unlösbare Aufgaben und Herausforderungen schaffbar sind und dass es vor allem wichtig ist, Dinge auszuprobieren und für sich selbst herauszufinden, wo die eigenen Talente und Schwächen liegen.
Alexander Gerst hat in Osterholz-Scharmbeck immer wieder bewusst junge Frauen im Publikum angesprochen und sie animiert, den Beruf einer Astronautin anzustreben. Ich kann das nur unterstützen – und darauf hinweisen, dass es eine Initiative aus Bremen gibt, die sie „Die Astronautin“ nennt und das Ziel verfolgt, die erste deutsche Frau als Astronautin ins All zu schicken.
Auf der anderen Seite ist es für uns als Arbeitgeber aber auch wichtig zu verstehen, welche Erwartungshaltung Bewerber*innen und Mitarbeiter*innen an die Firma stellen. Die Generation Y und auch die jüngste Generation Z haben jeweils viel volatilere Berufskonzepte. Diese Menschen gehen viel experimenteller an ihre Jobs ran, haben sehr hohe Ansprüche an ihre Arbeitgeber und sind keinesfalls gewillt, große Konstanz an den Tag zu legen. Es ist eher ein Wert an sich, am Beginn einer Berufslaufbahn möglichst viele Erfahrungen zu sammeln. Das beschreibt den Rahmen, mit dem wir auf der Suche nach den besten Mitarbeitern künftig zurechtkommen müssen.
OHB-Belegschaft: Jeder Zweite 35 Jahre und jünger
Ein Beleg für die Dramatik der Entwicklung ist folgender Fakt: Von den mehr als 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der OHB System AG in Deutschland ist jeder zweite 35 Jahre und jünger. Diese Menschen gehören zu den beiden beschriebenen Generationen, die einem starken Wertewandel unterliegen. Wegen der angesprochenen volatileren Berufskonzepte muss das über allem stehende Ziel deshalb sein, Identifikation im Höchstmaß zu schaffen. Denn Identifikation führt zu Bindung. Und Bindung ist wie skizziert essenziell, besonders in dem Wissen, dass in unserer Branche mehr oder weniger Vollbeschäftigung herrscht und die demografische Entwicklung uns vor große Herausforderungen im Recruiting stellen wird.
Dass wir so viele Mitarbeiter suchen und aktiv um sie werben, ist ja eigentlich ein schönes Problem. Es zeigt, dass OHB und der Technologiestandort Bremen erfolgreich sind. Es ist aber eben auch eine große Herausforderung; denn Unternehmen aus der Raumfahrtindustrie sind auf zum Teil sehr spezialisierte Fachkräfte angewiesen. Nur sie sind in der Lage, sehr komplexe und hochgradig anspruchsvolle Projekte in den vorgegebenen Rahmenbedingungen zu bewältigen. Schließlich geht es ja nicht allein darum, die technologischen Herausforderungen eines Projekts zu bewältigen. Es geht auch darum, mit dem Projekt Geld zu verdienen. Wir sind eine privatwirtschaftlich organisierte Firma. Wir sind auf Profit ausgerichtet. Profit machen wir aber nur, wenn die Projekte im vorgegebenen Budget und in der vorgegebenen Zeit fertigstellen. Um das sicherzustellen, müssen wir durch kluge und vorausschauende Aktivitäten dafür sorgen, dass sich potenzielle Mitarbeiter schon sehr früh für Raumfahrt und im Idealfall unser Unternehmen interessieren.
Zur Person
Marco Fuchs (Jahrgang 1962) studierte Rechtswissenschaften in Berlin, Hamburg und New York. Von 1992 bis 1995 arbeitete er als Anwalt in New York und Frankfurt am Main. 1995 trat er in das Unternehmen OHB ein, das seine Eltern aufgebaut hatten. Seit dem Jahr 2000 ist er Vorstandsvorsitzender der jetzigen OHB SE und seit 2011 der OHB System AG. Marco Fuchs ist verheiratet und hat zwei Kinder.