31. August 2020. Das Schlagwort „Digitalisierung“ geistert gefühlt schon seit Jahrzehnten durch die gesellschaftliche und politische Debatte. Was es denn ganz genau damit auf sich hat, darauf konnte man in den vergangenen Jahren mitunter beliebig viele Antworten und Meinungen erhalten. Die Covid-19-Pandemie hat für viele noch deutlicher gemacht, dass der gesicherte und stabile Zugang zu breitbandigem Internet Dreh- und Angelpunkt nicht nur des wirtschaftlichen Handelns geworden ist, sondern auch unser gesellschaftliches Leben mehr und mehr prägt.
Sehr deutlich wurde für mich die Abhängigkeit vom Internet erst jüngst durch einen OHB-internen Vorgang. Die IT informierte dieser Tage, dass unsere Kommunikationsanlage auf „Unified Communications“ umgestellt wird und wir zukünftig ausschließlich über das Internet telefonieren werden. Dass im Zuge dieser Umstellung auch die Telefone von den Schreibtischen verschwinden werden, wird sicherlich nicht nur für mich eine Umstellung werden, die umso mehr deutlich macht, dass wir uns vom analogen Zeitalter endgültig verabschieden werden.
Pandemie treibt Digitalisierung voran
Auch wenn eine komplette Umstellung auf Remote Office und digitale Arbeit auch bei OHB nicht möglich ist – ein großer Teil unserer Satelliten entsteht zwar im Computer, das Zusammenbauen und Testen wird jedoch weiterhin händisch im Reinraum gemacht –, haben auch wir unseren Arbeitsalltag während der Pandemie sehr viel digitaler gestaltet und sind damit zu meiner eigenen Überraschung sehr gut gefahren. Andere Wirtschaftszweige konnten ihre Arbeitsabläufe 1:1 ins Remote Office verlegen, und viele Industriezweige werden sich spätestens durch die Erfahrungen der ersten Jahreshälfte intensiver mit den Vorzügen der Smart Factory beschäftigen.
Die Digitalisierung der Wirtschaft genießt auch in der Politik einen hohen Stellenwert und wird nicht nur vielfältig gefördert. Große Projekte wie die europäische Dateninfrastruktur Gaia-X, die vom Bundeswirtschaftsminister initiiert und vorangetrieben wird, zeigen, dass politische Entscheidungsträger maßgeblich daran mitwirken, die deutsche und europäische Wirtschaft bei der Digitalisierung nicht zurückfallen zu lassen.
Fehlender Internetzugang führt zu gesellschaftlicher Benachteiligung
Das Internet eröffnet ganz neue Möglichkeiten, im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass schlechter oder kein Zugang zum Internet zu Benachteiligungen führt, die immense Auswirkungen haben können. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hängt davon ab, wie wir miteinander verbunden sind und wie wir kommunizieren; die Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit, die wir zu Anfang der Pandemie durchstehen mussten, wurden für viele von uns durch die oft sofortige Verlagerung von Aktivitäten in den virtuellen Raum aufgefangen. Nicht nur haben die großen Streaming-Plattformen exorbitante Gewinne verzeichnet, auch viele andere Bereiche haben schnell reagiert und ihr Angebot, soweit möglich, via Stream dem Publikum zugänglich gemacht.
Dass der Onlinehandel zu den großen Gewinnern der Pandemie zählen wird, steht bereits jetzt fest. Ganz entscheidend hat sich aber auch das Kommunikationsverhalten in Freundeskreisen, Vereinen, Familien verändert: Wo persönliche Begegnungen ausfallen mussten, wurde auf Videochats zurückgegriffen, die Bundeskanzlerin empfahl der jüngeren Generation, für die Großeltern einen Podcast aufzunehmen und Sportler trafen sich zu Wettkämpfen auf der Videokonsole. Dies alles war und ist jedoch nur möglich, wenn die Internetverbindung stabil, verlässlich und bezahlbar ist, und wer glaubt, dass wir in Deutschland damit doch angesichts unseres allgemeinen Erste-Welt-Standards keine Probleme haben sollten, der irrt gewaltig.
Deutschland hinkt bei der Digitalisierung hinterher
Deutschland hat zunächst einmal im internationalen Vergleich ein gewaltiges Geschwindigkeitsproblem: Im jährlichen „Speedtest Global Index“ ist Deutschland für ein Land, das als globales Hochtechnologie-Land gelten will, erschreckend weit abgeschlagen. Wie weit Deutschland beim Ausbau der digitalen Infrastruktur zurückliegt, zeigt der Vergleich mit dem Spitzenreiter Südkorea. Im Juni 2020 lag die durchschnittliche Download-Geschwindigkeit im mobilen Internet in Deutschland bei 39 Megabit pro Sekunde (Mbps), in Südkorea sind es 110 Mbps – also nahezu das Dreifache. Und während die Asiaten ihre Geschwindigkeit innerhalb eines Jahres verdoppeln konnten, trat Deutschland vergleichsweise auf der Stelle.
Zu diesem Geschwindigkeitsproblem tritt jedoch auch noch ein Problem der sogenannten Konnektivität. Das bedeutet: Die Menschen in Deutschland haben sehr unterschiedliche Möglichkeiten, auf schnelles Internet zuzugreifen. In Metropolen und größeren Städten ist schnelles Internet in der Regel verfügbar – wenn auch oft nicht mit der nötigen Leitungsfähigkeit. Auf dem Land und in kleinen Gemeinden kann das jedoch problematisch werden – oder sogar so weit gehen, dass es überhaupt kein Internet gibt. Experten sprechen dann von sogenannten „weißen Flecken“. Das ist für ein Land wie Deutschland ein Armutszeugnis. Zumal in Zeiten wie diesen, wo wir wie erwähnt auf digitale Formen der Kommunikation und Arbeit angewiesen sind. Mehr noch: Ohne flächendeckendes schnelles Internet behindern wir uns beim Innovationsprozess und schaden damit mittelfristig unserem Wohlstand.
Wenn wir unser eigenes Internetverhalten in den letzten Wochen und Monaten alleine im privaten Bereich Revue passieren lassen und uns dann vor Augen führen, dass vier Millionen Haushalte in Deutschland gar keine oder nur eingeschränkte Teilhabe am Internet haben, dann wird schnell klar, dass dies kein haltbarer Zustand sein kann, von den wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Ungleichheit ganz zu schweigen. Die Frage, wie der Breitbandausbau auch im ländlichen Raum beschleunigt werden kann, treibt auch viele politische Entscheidungsträger um, daher hat OHB einen Vorschlag vorgelegt, wie die Breitbandversorgung zukünftig mittels Satellitentechnologie unterstützt werden kann.
Eine Satellitenkonstellation könnte Lücken schließen
Für den konkreten Fall der Abdeckung weißer Flecken in Deutschland haben wir eine Lösung mit geostationären Satelliten erarbeitet, die gezielt auf Deutschland ausgerichtet werden können und bei denen zwei Satelliten 500.000 Haushalte mit Datenraten von 100 Gbit/s versorgen könnten. Da die weißen Flecken in der Breitbandversorgung sich über ganz Deutschland verteilen, wäre eine satellitenbasierte Lösung deutlich schneller zu realisieren als die terrestrische Anbindung der jeweiligen Haushalte. Dass es der Anspruch Deutschlands sein muss, mittelfristig lückenlos die moderne Glasfaserversorgung überall anbieten zu können, steht angesichts der immer digitaler werdenden Welt außer Frage. Die Tatsache, dass die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt diesem Anspruch derart hinterherhinkt, ist wahrlich beschämend.
Der Zugang zum Internet ist heute jedoch auch ein Faktor, der unter den Gesichtspunkten Souveränität und strategische Absicherung von Ressourcen an Relevanz gewonnen hat. Daher ist es nur folgerichtig, dass sich Europa auch hier positioniert: Thierry Breton, der französische EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistung, der auch für die EU-Raumfahrtprogramme Galileo und Copernicus zuständig ist, hat jüngst den Aufbau einer unabhängigen europäischen Satellitenkonstellation für die Internetversorgung vorgeschlagen.
Diesen Vorschlag unterstütze ich nicht nur als europäischer Raumfahrtunternehmer, sondern auch als europäischer Bürger, denn dass der gesicherte Zugriff aufs Internet für jede Europäerin und jeden Europäer möglich sein sollte, das hat nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie sehr nachdrücklich bewiesen. Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden globalen Auseinandersetzungen über die Hoheit von Daten und den Einfluss auf deren Nutzung, ist es von großem Interesse Europas, sich hier autark aufzustellen.
Sollte ein derartiges Programm realisiert werden, dann würden es wohl ein paar Hundert Satelliten werden. Bislang besteht die Gefahr, dass solche Satellitenkonstellationen an Europa vorbei aufgebaut werden. Letztlich geht es auch darum, den ländlichen Raum anzubinden und eine weitere Landflucht zu verhindern. Vom Zeitplan müsste das aber zügig passieren, also in dieser Periode der Europäischen Kommission. Nur so halte ich es für wahrscheinlich, auf Projekte wie etwa Starlink von Space X noch aufzuschließen.
Zur Person
Marco Fuchs (Jahrgang 1962) studierte Rechtswissenschaften in Berlin, Hamburg und New York. Von 1992 bis 1995 arbeitete er als Anwalt in New York und Frankfurt am Main. 1995 trat er in das Unternehmen OHB ein, das seine Eltern aufgebaut hatten. Seit dem Jahr 2000 ist er Vorstandsvorsitzender der jetzigen OHB SE und seit 2011 der OHB System AG. Marco Fuchs ist verheiratet und hat zwei Kinder.