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Eine Kolumne von Marco Fuchs: Gedanken über Zeit und Raum

Die 20er Jahre werden ein Jahrzehnt der Raumfahrt

Wir werden Spuren von außerirdischem Leben finden

6. Januar 2020. Sie haben in den vergangenen Wochen über die sogenannten „20er Jahre“ sicher auch viel gehört, gesehen und gelesen. In vielen Medienberichten wurden Vergleiche angestellt zwischen den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts und den nun beginnenden 20er Jahren in unserem Jahrhundert. Die 1920er Jahre wurden vor allem in Deutschland als „goldenes Zeitalter“ bezeichnet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass einiges davon recht romantisiert dargestellt wird, dennoch: die Dekade beschreibt einen allgemeinen Wirtschaftsaufschwung, aber auch eine Blütezeit von Kunst, Kultur und Wissenschaft.

Ob das für die nun kommenden zehn Jahre in ähnlicher Weise gilt, wage ich nicht vorherzusagen. Denn wie es etwa mit der Weltwirtschaft weitergehen wird, hängt davon ab, wie die Wahl im November 2020 in den USA ausgeht, welche Auswirkungen der Ende Januar nun fest eingeplante Austritt Großbritanniens aus der EU haben wird und wie sich der Handelskonflikt zwischen Amerika und China weiterentwickelt. Auf der anderen Seite hat uns das abgelaufene Jahrzehnt aber gezeigt, dass vor allem die deutsche Wirtschaft extrem robust ist und sich immer wieder auf große Herausforderungen einstellen kann. Aus diesem Grund bin ich allgemein trotz der unübersichtlichen Lage in der Welt positiv eingestellt. Meine Erfahrung als Unternehmer hat mich gelehrt, dass die Dinge sich am Ende immer irgendwie regeln. Häufig liegt zu viel Augenmerk auf den Risiken und die Chancen werden unterschätzt.

Die Raumfahrtbranche hat den Nutzen ihrer Technologie für die Allgemeinheit demonstriert

Diese Erfahrung ist es auch, die mich für den Bereich, in dem ich mich auskenne – also der Raumfahrt – eine konkrete Aussage für die 20er Jahre treffen lassen. Sie lautet: Die 2020er Jahre werden ein Jahrzehnt der Raumfahrt werden. Den Unternehmen unserer Industrie ist es in den vergangenen Jahren aus meiner Sicht überzeugend gelungen, den Nutzen ihrer Technologie für die Allgemeinheit zu demonstrieren. Kaum jemand wird heute ernsthaft bestreiten, dass Raumfahrttechnologie einen wesentlichen Beitrag zum Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft beiträgt: Wettervorhersagen, Navigation, Umwelt- und Klimabeobachtung – all das wäre ohne die Infrastruktur im All nicht möglich. Wenn man also die vergangenen Jahrzehnte analysiert, wird offensichtlich, dass die Bedeutung von raumfahrtgestützten Infrastrukturen zugenommen hat – ich bin mir auch sehr sicher, dass das im kommenden Jahrzehnt so weitergehen wird.
Denn es hat sich in der Struktur der Branche einiges geändert. Während die vergangenen vier Jahrzehnte geprägt waren von einer stark von Staaten und staatlichen Institutionen dominierten Raumfahrt, erleben wir derzeit eine grundlegende Neuausrichtung der gesamten Industrie. Neue Marktteilnehmer treten auf den Plan, neue Geschäftsmodelle entstehen. Der Markt verändert sich rasant. Das erfordert neue Technologien, neue Prozesse und neue Produktionsverfahren. Zwar werden Staaten immer eine zentrale Rolle für die Raumfahrt spielen, vor allem als Aufsicht, als Initiator von Projekten und als Betreiber öffentlicher Infrastrukturen wie etwa dem Navigationssystem Galileo. Aber rund um diese klassische Raumfahrt werden sich neue Märkte bilden, in denen private Investoren große Chancen haben werden. Kurzum: die alten Grenzen werden sich in den kommenden Jahren mehr und mehr auflösen. Dadurch entstehen neben ganz neuen kommerziellen Bereichen auch Chancen für Mischmodelle von privaten und öffentlichen Beteiligten.

Diese öffentlich-privaten Partnerschaften bieten den Beteiligten künftig attraktive Strukturen, um Projekte gemeinsam effizienter umzusetzen. Das erhöht die Attraktivität bestimmter Vorhaben und sollte damit zu weiterem Wachstum führen. Diese neuen Mischmodelle werden aber auch eine neue Form von Kontrolle benötigen. Es muss trotz der verlockenden Perspektiven eines neuen Wirtschaftsraums in einer neuen Dimension verhindert werden, dass sich im All eine Art Wildwest-Manier etabliert. Deshalb wird es schon in einigen Jahren ein Reglement geben, mit dem Satelliten und Raumschiffe zentral verkehrsüberwacht werden. Wenn erstmal die privat finanzierten Satellitenkonstellationen in niedrigen Erdorbits zu Zehntausenden unterwegs sind, wird ein derartiges Reglement im Grunde wie im Flugverkehr am Himmel dafür sorgen, dass eine gewisse Ordnung nicht verloren geht, dass es anderen Nutzern gegenüber klare Rechte und Pflichten gibt und diese auch eingehalten werden.

OHB ist kein kleiner Satellitenhersteller mehr

Natürlich wollen und werden wir bei dieser neuen großen Industrie, die sich gerade etabliert, mit dabei sein. Ich bin da sehr zuversichtlich. Denn OHB ist inzwischen kein kleiner Satellitenhersteller unter mehreren Großen mehr – wir sind das deutsche Raumfahrtunternehmen. Vor allem im Bereich Erdbeobachtung wird es sehr viele Möglichkeiten für Wachstum in der gesamten Branche geben. In den kommenden Jahren werden relevante Dinge vom Erdorbit aus permanent gemessen und online überwacht werden können. Und es wird immer mehr Parameter geben, die gemessen werden. Es wird in nicht allzu ferner Zukunft eine Zeit geben, da werden Internetdienstleister Satellitenbilder in Echtzeit online anbieten. Es wird einen Kartenservice geben, mit dem ein Lieferdienst oder ein Makler den Livezustand eines Gebietes überprüfen kann. Mit den Daten von Erdbeobachtungssatelliten werden also in den kommenden Jahren eine Reihe neuer Geschäftsmodelle entstehen – nicht zuletzt deshalb, weil die Daten des europäischen Erdbeobachtungssystems Copernicus bereits jetzt frei für alle Nutzer verfügbar sind.

2030 wird es auch eine lunare Infrastruktur geben, es wird ein Mondprogramm geben, das vor allem von der NASA vorangetrieben wird. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden wieder Astronauten gelandet sein, und es gibt vielleicht die ersten Mondstationen. Woran ich nicht recht glaube, ist, dass man auf Mond oder Mars etwas anderes als Forschung und Wissenschaft betreiben kann. Es ist doch für Menschen vor Ort nicht wirklich schön und angenehm, was soll man da privat machen? Grundsätzlich wird meiner Meinung nach bei all den Diskussionen um die Erforschung des Weltraums ein Aspekt immer gravierend unterschätzt: der Handlungsrahmen im All ist viel begrenzter, als viele denken! Der Grund dafür ist die Biologie und es sind die Gesetze der Physik. Menschen leben nun mal zurzeit nur maximal um die 100 Jahre, irgendwann vielleicht mal 200 Jahre, und die vorstellbaren Technologien lassen uns Menschen in kosmischen Dimensionen gesehen quälend langsam vorankommen. Das wird sich in Anbetracht unserer physikalischen Gesetze auch nicht grundlegend ändern. Deshalb werden Sonden auf unser Sonnensystem und Astronauten auf Mond, Mars, eventuell irgendwann auch Venus und Merkur, in zukünftigen Jahrhunderten vielleicht sogar Jupiter- und Saturn-Monde beschränkt bleiben. Wir Menschen werden auch im Jahr 3000 keine anderen Ziele haben, das ist die nüchterne Wahrheit. Aber vielleicht liege ich ja auch falsch! Ich gebe zu, dass mich dieser Irrtum sehr freuen würde!

2020 wird jedoch ein Jahr der Exploration werden. Im Sommer wird die europäische Mission ExoMars 2020 starten. Das ist allerdings eine robotische Mission. Wenn man es nüchtern betrachtet, dann wird eine Marsreise für Astronauten noch lange eine Vision bleiben. Es wäre ein sehr hohes Risiko – auch wegen der hohen Strahlenbelastung unterwegs, von den Bedingungen auf dem Mars selbst ganz zu schweigen. Selbst der Mond ist nicht einfach, die amerikanischen Apollo-Missionen haben viel Glück gehabt. Am Ende war das neben den immensen Kosten sicherlich auch der Grund, warum Apollo 1972 eingestellt wurde: den Amerikanern ist klar geworden, wie hoch das Risiko dieser Missionen war und dass sie ihr Glück nicht noch weiter herausfordern sollten. Deshalb meine ich, wir sollten erst den Mond beherrschen, bevor wir weiter zum Mars gehen.

Der Grund für die europäische ExoMars 2020-Reise zum Mars ist ja nicht, dort Menschen anzusiedeln. Die Hoffnung ist, auf dem Mars, beziehungsweise unter der Oberfläche des Planeten, Spuren von Leben zu finden. In dem Zusammenhang weise ich aber auch immer gern darauf hin, dass die Venus auch ein lohnendes Ziel darstellt. Die Venus ist ein erdähnlicher Planet und genauso spannend wie der Mars, auch was den möglichen Nachweis von außerirdischem Leben betrifft. Ich komme nämlich mehr und mehr zu der Überzeugung, dass Leben im All gar nicht so außergewöhnlich ist. Es ist unglaublich, wo sich überall Leben bilden kann. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass die Menschheit bis Ende dieses Jahrzehnts konkrete Spuren von außerirdischem Leben finden kann – ich bin sicher, dass die Raumfahrt da einen relevanten Beitrag für die Naturwissenschaft und unser ganzes Weltbild leistet.


Zur Person

Marco Fuchs (Jahrgang 1962) studierte Rechtswissenschaften in Berlin, Hamburg und New York. Von 1992 bis 1995 arbeitete er als Anwalt in New York und Frankfurt am Main. 1995 trat er in das Unternehmen OHB ein, das seine Eltern aufgebaut hatten. Seit dem Jahr 2000 ist er Vorstandsvorsitzender der jetzigen OHB SE und seit 2011 der OHB System AG. Marco Fuchs ist verheiratet und hat zwei Kinder.


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