23. März 2020. Das Coronavirus Sars-CoV-2 hat unser Leben, unser Arbeiten auf den Kopf gestellt. Was das für uns in Deutschland bedeuten würde, konnten wir bei OHB schon mit etwas Vorlauf studieren. Denn unser Tochterunternehmen OHB Italia hat seinen Sitz in Mailand – und damit sozusagen im Auge des Corona-Orkans. Ich bin sehr froh, dass die rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bislang durch ihr vorbildliches Verhalten ohne Krankheitsfälle durch diese schwierige Zeit gekommen sind. Die meisten von ihnen sind entweder im Home-Office, haben Urlaubs- oder Gleitzeittage genommen oder fahren immer nur kurz in die Firma, um per Stick Daten auszutauschen oder zu aktualisieren. Ihren Job machen sie verlässlich und weiter mit hoher Qualität, obwohl sie täglich die schrecklichen Bilder von in Militärkonvois abtransportieren Corona-Opfern sehen. Dafür gebührt ihnen unser größter Dank und Respekt!
Große Herausforderungen rufen das Gute in den Menschen wach
„Jede Krise“, schrieb der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig nach der Katastrophe des 1. Weltkriegs, „ist ein Geschenk des Schicksals an den schaffenden Menschen.“ Ich bin sehr stolz, wenn ich sehe, wie unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch die Gesellschaft insgesamt, auf diese völlig neuartige Herausforderung reagiert. Ich staune, wie selbstverständlich ganze Organisationen plötzlich aus Küchen, Wohn- und privaten Arbeitszimmern handlungsfähig gehalten werden. Ich freue mich zu erleben, dass große Herausforderungen offenbar auch eher das Gute in den Menschen wachruft, dass sie zu großer Hilfsbereitschaft neigen. Selbst Fake News haben es schwer in den letzten Wochen.
Nach meiner Einschätzung gibt es bei aller angebrachten Ernsthaftigkeit und Sorge über die derzeitige Situation auch Anlass zu Optimismus. Ich möchte Ihnen dazu einige der wichtigsten Punkte nennen, die mich dazu veranlassen:
1. Die Politik, besser gesagt der Staat, hat eine ungeahnte Entscheidungskompetenz an den Tag gelegt. Man mag die eine oder andere Maßnahme – zumal im föderal organisierten Deutschland – als zu zögerlich oder zu wenig robust kritisieren. Insgesamt habe ich jedoch den Eindruck, dass die Verantwortlichen sehr nachvollziehbar und gut reagiert haben. Die Transparenz, mit der die vielen schwierigen Entscheidungen, die uns alle betreffen und die vor allem auch unser hohes Gut der persönlichen Freiheit einschränken, getroffen werden, macht es uns leichter, die Maßnahmen zu akzeptieren.
2. Die Wissenschaft rückt als Instanz für Wahrheit, Klarheit und Einordnung wieder in den Vordergrund. Bei der Frage, welche Maßnahmen im Kampf gegen Sars-CoV-2 geeignet sind, ist die Wissenschaft als entscheidende Instanz wieder in den Fokus gerückt. Das war in den vergangenen Jahren nicht immer so. Im Gegenteil: Das Internet und die sozialen Medien haben dafür gesorgt, dass es kein Herrschaftswissen mehr gibt. Das hat aber leider auch dazu geführt, dass Quacksalber und Möchtegern-Experten zu allem und jedem ihren Unsinn verbreiten. Die Quacksalber gibt es natürlich immer noch, aber erstaunlicherweise dringen sie derzeit nicht mehr so durch wie zuvor. Stattdessen hören Millionen Menschen täglich in einem Podcast des NDR dem Berliner Virologen Christian Drosten und auch anderen Experten zu. Hören, wie sie die Dynamik der Pandemie erklären, versichern sich durch ihre Erklärungen, dass sie sich im Privaten richtig verhalten, und sind beruhigt, wenn sie hören, dass die Politik wieder einige ihrer Empfehlungen umgesetzt hat. Wir werden möglicherweise in einer Zeit, wenn wieder Normalität eingekehrt ist, erleben, dass sich dieses neue Mandat der Wissenschaft auch auf andere Bereiche unserer Gesellschaft auswirkt, etwa auf die Frage, welche Maßnahmen schnell und robust im Kampf gegen den Klimawandel angebracht sein könnten.
3. Die Welt nach Corona wird digitaler werden. Vieles, was wir gerade erleben, wird auch nach dem Ende dieses Ausnahmezustands nicht wieder verschwinden. Ich bin fest davon überzeugt, dass es eine digitale Globalisierung geben wird. Damit meine ich, dass die bislang noch überwiegend physischen Abläufe digitalen weichen werden. Es ist einfach ein Fakt von Krisen, dass man nur in diesen erkennt, wie es auch anders, vielleicht sogar effizienter gehen kann. Viel mehr noch ist es jedoch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft klar geworden, wie sehr sie auf dieses „digitale Rückenmark“ angewiesen ist. Ich wage nicht zu beschreiben, wie wir ohne die Möglichkeit des Arbeitens aus der Ferne diese Krise meistern sollten. Dieses „Rückenmark“ ist jedoch nicht so leistungsfähig, wie es sein müsste. Die Datenmengen steigen exponentiell, ebenso die Rechnerleistungen. Sollte sich in Zukunft erneut eine solche Herausforderung ergeben, sollte Deutschland digital besser gerüstet sein. Die Raumfahrtindustrie ist mit ihrer Satellitentechnologie in der Lage, schnell Kapazitäten für solch eine Erweiterung der Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen.
4. Die Raumfahrtbranche selbst kann einigermaßen ruhig in die Zukunft blicken. Denn trotz der massiven Auswirkungen durch die Corona-Krise hat unsere Industrie das Glück langlaufender Projekte. Die Budgets dafür wurden für die ESA-Programme im vergangenen November bewilligt. Raumfahrt und ihre Lösungen werden meiner Einschätzung nach in einer Zeit, in der die Nachfrage nach globaler Vernetzung und Kommunikation enorm steigen wird, eher bedeutsamer und systemrelevanter werden. Das sehen übrigens auch die Finanzmärkte so: Papiere der Raumfahrtunternehmen haben deutlich weniger an Wert verloren als der Gesamtmarkt.
Wir werden diese Herausforderung gemeinsam bewältigen
Am Ende möchte ich noch eine persönliche Anmerkung machen. Selbstverständlich geht diese Krise auch an mir nicht spurlos vorüber. Als Inhaber mache ich mir natürlich rund um die Uhr viele Gedanken darüber, wie wir das Unternehmen so durch die Krise manövrieren, dass an deren Ende alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die heute an Bord sind, auch dann noch sagen können, dass sie bei OHB arbeiten. Ich verstehe alle, die im Moment Angst haben und sich sorgen: um sich, ihre Angehörigen, ihren Arbeitsplatz. Diese Sorgen teilen derzeit viele Millionen Menschen in Tausenden Unternehmen in Deutschland. Und dennoch bin ich sehr zuversichtlich, dass wir diese einzigartige Herausforderung gemeinsam bewältigen werden. Ich sehe und beobachte jeden Tag, wie sehr sich die Kolleginnen und Kollegen gegenseitig helfen und unterstützen. Mit dieser andauernden Solidarität in schwierigen Zeiten wird es gelingen, das Virus zu besiegen.
Bleiben Sie gesund!
Zur Person
Marco Fuchs (Jahrgang 1962) studierte Rechtswissenschaften in Berlin, Hamburg und New York. Von 1992 bis 1995 arbeitete er als Anwalt in New York und Frankfurt am Main. 1995 trat er in das Unternehmen OHB ein, das seine Eltern aufgebaut hatten. Seit dem Jahr 2000 ist er Vorstandsvorsitzender der jetzigen OHB SE und seit 2011 der OHB System AG. Marco Fuchs ist verheiratet und hat zwei Kinder.