27. November 2018. In einigen Tagen kommt die CDU zu ihrem ordentlichen Parteitag in Hamburg zusammen, um eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für Bundeskanzlerin Angela Merkel zu wählen, die sich nicht mehr für das Amt der Parteichefin bewerben wird. Einer der Kandidaten ist der frühere CDU-Spitzenmann Friedrich Merz. Sie wissen schon: der mit dem Bierdeckel. In der aktuellen Nachfolgedebatte ist er jedoch weniger der Mann, der 2003 mit dem Anspruch bekannt wurde, dass jeder Bürger seine Einkommensteuer auf einem Bierdeckel ausrechnen können sollte, sondern mehr der Mann mit den Millionen auf dem Konto und dem Mandat als Aufsichtsratschef von Blackrock, dem größten Vermögensverwalter der Welt. Inzwischen führen wir eine breite öffentliche Diskussion darüber, ob ein Mann, der sich ein Millionenvermögen in der freien Wirtschaft verdient hat, Vorsitzender einer großen, staatstragenden Partei sein kann oder gar darf. Und Merz selbst äußert sich öffentlich inzwischen fast schon peinlich berührt über seinen Erfolg. Ganz so, als hätte er etwas Unrechtes getan.
Kratzen an den Grundfesten der Marktwirtschaft
Ich finde diese Diskussion in ihrer pauschalen Form mehr als befremdlich. Denn dieses Schwarz-Weiß-Denken über das Funktionieren der Wirtschaft kratzt an Grundfesten der freien Marktwirtschaft, der die Bundesrepublik Deutschland ihren Wohlstand und ihren festen Platz in der freien, friedlichen Welt verdankt. Es geht hier um die Einordnung von wesentlichen Merkmalen, die unser Wirtschaftssystem ausmachen: Leistungsorientierung, Verantwortungs- und Führungsbereitschaft, Mut, Profitorientierung. Wir können nicht zulassen, dass Menschen in diesem Land an den öffentlichen Pranger gestellt werden, weil sie erfolgreich waren oder sind. Es muss genau anders herum sein: wir müssen wieder dahin kommen, dass erfolgreiche Menschen für ihre Leistung respektiert und anerkannt werden – in der Gesellschaft ebenso wie in Unternehmen. Sie müssen nicht bewundert werden oder gar als Vorbilder dienen, wie das gern in den Vereinigten Staaten gepflegt wird. Aber auf gar keinen Fall dürfen wir es zulassen, dass Erfolg dazu führt, abschätzig behandelt zu werden.
Mangelndes Wissen über die Wirtschaft
Die ganze Debatte deutet aber auf ein grundlegendes Problem hin, über das ich mir seit geraumer Zeit Gedanken mache. Nämlich die Frage, wie es um das Wirtschaftswissen der Gesellschaft bestellt ist. In einer Studie hat die Wochenzeitung „Die Zeit“ in diesem Frühjahr das Wissen der Deutschen über Wirtschaft erheben lassen. Das Ergebnis war erschreckend. Eine große Mehrheit der Bundesbürger weiß wenig bis nichts über das Wesen und Funktionieren unserer Wirtschaft. Und dabei ging es bei der Studie nicht etwa um tiefschürfende Problemstellungen der Betriebswirtschaft. Es ging mehr um Fragen wie: wie hoch stand der Dax am Jahresende? Wie hoch ist der Spitzensteuersatz ungefähr? Was versteht man unter Umsatz? Wie hoch ist die Arbeitslosenquote derzeit? Was ist ein Girokonto? Das Fazit der Studie lautete: quer durch alle Bildungs-, Alters- und Gesellschaftsschichten scheiterten die Befragten in großer Mehrheit an diesen Fragen.
Erfolg produziert Erfolg
Möglicherweise ist die seltsame Diskussion um Friedrich Merz mit diesem mangelnden Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge zu erklären. Vielleicht wissen nicht ausreichend genug Menschen, dass das Streben nach Erfolg eben zu jenen Grundfesten der freien Marktwirtschaft gehört, die ich anfangs erwähnt habe. Und dass Erfolg in einer Wirtschaftsordnung, wie wir sie in Deutschland kennen, meistens weiteren Erfolg nach sich zieht. Der Erfolg wiederum gründet auf den Profiten, die Unternehmen erwirtschaften. Und im Mittelstand, der in Deutschland rund 99 Prozent aller Unternehmen ausmacht, werden Profite in der Regel wieder ins Unternehmen investiert. Das sorgt für Innovationen und neue Aufträge, damit verbundenem Wachstum, woraus dann neue Arbeitsplätze entstehen.
Das Klischee vom gierigen Unternehmer
Möglicherweise wissen viele Deutsche nicht, dass all das dazu führt, dass sie einen sicheren Arbeitsplatz haben. Und ganz offensichtlich besteht nach wie vor das Klischee, Unternehmer würden überwiegend nur für ihren eigenen Erfolg arbeiten, anstatt sich um das Wohl des Unternehmens und ihrer Mitarbeiter kümmern – ganz so, als ob es irgendwo einen Geldspeicher gäbe wie bei Onkel Dagobert, in dem Unternehmer ihre Reichtümer für sich alleine horten. Dieses Bild ist zugegeben plakativ und macht sich gut an Stammtischen und in Schlagzeilen des Boulevards – es hat nur so gut wie nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Denn gerade im familiengeführten Mittelstand, für den die deutsche Wirtschaft weltweit bewundert und geachtet wird, werden die Profite so gut wie vollständig in die eigene Firma reinvestiert. Denn am Ende ist es der Eigentümer, der den größten Anreiz hat, dass es der Firma gut geht. Er hat schließlich auch am meisten zu verlieren. Und wenn es der Firma gut geht, geht es in der Regel auch den Mitarbeitern gut.
Ein Alexander Gerst für Wirtschaftsthemen wäre nötig
Wir müssen in unserer Gesellschaft einen Weg finden, die Bürger mit mehr Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge auszustatten. Nur wenn sie diese Zusammenhänge verstehen, erliegen sie nicht der Versuchung, den populistischen Botschaften interessegeleiteter Gruppen oder Organisationen zu erliegen. Das ist eine Aufgabe, die die Gesellschaft nur in einer gemeinsamen Anstrengung bewältigen kann. Mein Gefühl sagt mir, dass wir diese Aufgabe nicht nur den Schulen aufbürden dürfen. Der Ruf nach einem Pflichtfach Wirtschaft an allen weiterführenden Schulen wird in einer solchen Diskussion immer sehr schnell laut. Ich bin nicht dagegen, Schüler früh mit Wirtschaftswissen zu konfrontieren, im Gegenteil. Es wäre ein guter Anfang. Ich glaube jedoch, dass wir es uns zu einfach machen, wenn wir uns auf die Schulbildung beschränken. Die Unternehmen selbst können viel dazu beitragen, den eigenen Mitarbeitern sozusagen „on the job“ unternehmerisches Denken zu vermitteln. Außerdem meine ich, dass auch die Medien ihre Anstrengungen dabei verstärken können – insbesondere, indem sie sich Gedanken darüber machen, wie sie vor allem die Jüngeren abholen, die sich in der überwiegenden Mehrheit nur noch über digitale Plattformen oder den sozialen Medien informieren. Das Beispiel des deutschen Astronauten Alexander Gerst zeigt, dass es möglich ist, mit adäquat aufbereiteten Inhalten über soziale Medien auch die Jugend für Technik und die Raumfahrt zu begeistern. Wieso sollte das nicht auch mit spannend aufbereiteten Wirtschaftsthemen möglich sein ...
Zur Person
Marco Fuchs (Jahrgang 1962) studierte Rechtswissenschaften in Berlin, Hamburg und New York. Von 1992 bis 1995 arbeitete er als Anwalt in New York und Frankfurt am Main. 1995 trat er in das Unternehmen OHB ein, das seine Eltern aufgebaut hatten. Seit dem Jahr 2000 ist er Vorstandsvorsitzender der jetzigen OHB SE und seit 2011 der OHB System AG. Marco Fuchs ist verheiratet und hat zwei Kinder.