Er ist einer der herausragendsten Raumfahrt-Experten und seit Mittwoch dieser Woche im OHB SE Aufsichtsrat: Hans Königsmann, 1963 in Berlin geboren. An der TU Berlin studierte er Luft- und Raumfahrtechnik und promovierte an der Universität Bremen. Als junger Raumfahrtingenieur arbeitete er am Zentrum für Angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) und war dort unter anderem im Kleinsatellitenprojekt BremSat, das damals in enger Kooperation mit OHB entwickelt und realisiert wurde. Der Satellit startete 1994 mit dem Space Shuttle ins All. Nach Abschluss des Projektes ging Königsmann in die USA. Von 2002 bis 2021 war er als Vice President of Mission Assurance bei SpaceX verantwortlich für die Sicherheit der Raketenstarts und Missionen. Die Entwicklung der Raketen Falcon 1, Falcon 9 und der Dragon-Kapsel sowie der Starlink-Konstellation hat er in verschiedenen, führenden Funktionen maßgeblich geprägt. Die NASA zeichnete Hans Königsmann 2014 mit der „Distinguished Public Service Medal“ aus, die höchste Anerkennung der amerikanischen Raumfahrtbehörde für nichtstaatliche Personen.
Herr Königsmann – „Der kleine Prinz“ des Piloten Antoine de Saint-Exupéry oder ein Roman von Jules Vernes – welche Lektüre würden Sie einpacken, wenn Sie die Möglichkeit hätten, zum Mond oder vielleicht sogar zum Mars zu fliegen?
Faust von Goethe, sagt Hans Königsmann prompt und blickt kurz in Richtung Bücherregal.
Warum denn Goethes Faust?
Also vom Inhalt und auch von der Anzahl der Buchstaben ist Faust das dichteste Buch, das ich – zumindest momentan – in meinem Bücherschrank stehen haben.
Wann haben Sie das Mammut-Werk zum ersten Mal gelesen?
Weiß ich nicht so genau, wahrscheinlich in der Schule. Das Buch fasziniert mich, aber ich schaffe es nie, es noch einmal in einem Stück zu lesen. Ich lese aber natürlich auch viele andere Bücher, viel technische Lektüre. Jules Verne nicht unbedingt. Da schon lieber Jacques Cousteau, oder Shackleton, sein Buch wäre gut, um es mit auf den Mond zu nehmen.
Shackleton auf dem Mond?
Ja, falls da was schiefläuft. Da hätte man gleich den richtigen Spirit und könnte nachlesen, wie man durchhält und die Mannschaft rettet. Nun ja, aber tatsächlich würde ich wohl meine ganze Library mitnehmen.
Na, da muss der Koffer aber groß sein . . .
. . . digital natürlich. Ich lese alles nur digital.
Okay, der Weg zum Mars ist weit, wie lang wären Sie mit all Ihren Büchern unterwegs?
Zum Mars sind es, also wenn man den effizientesten Übergang nimmt, sechs Monate hin. Man muss etwa eineinhalb Jahre bleiben und dann sind es wieder sechs Monate zurück. Es nimmt also doch ein bisschen Zeit in Anspruch.
Und welche Musik würden sie auf so einem langen Flug oder beim Start hören?
Also beim Start würde ich tatsächlich keine Musik hören. Ich höre ja auch keine Musik beim Laufen. Beim Start will ich auf jeden Fall hören, was da abgeht. Man stelle sich nur mal vor, ich könnte zum Mars fliegen und höre ein Musikstück während des Starts – wie absurd wäre das denn.
Warum sollten wir überhaupt zum Mars fliegen? Unsere Erde ist doch wunderschön.
Tja, da habe ich tatsächlich ein Stück, das ich Ihnen zeigen kann. Moment.
Hans Königsmann steht auf, geht zum Regal und holt einen fossilen Hai-Zahn, etwa so groß wie eine Hand.
So, dieser Fisch lebte vor – ich weiß gar nicht so genau, vor wieviel Millionen Jahren. Es ist ein Megalodon, ein Urzeit-Hai, vermutlich der größte Hai, der jemals in unserem Ozean gelebt hat. Heute gibt es ihn nicht mehr, er ist ausgestorben, ebenso wie die Dinosaurier und viele andere Arten. Mein Argument ist immer, wenn die Dinosaurier interplanetar hätten reisen können, wären sie zum Mars geflogen und sie wären vielleicht noch da.
Wenn die Dinosaurier interplanetar hätten reisen können, wären sie zum Mars geflogen.
Wir müssen also vorbeugen?
Ja, im Prinzip geht es um einen Back-Up-Plan, falls hier auf der Erde etwas passiert. Der Mars ist sicher noch nicht der ideale Ort für uns Menschen, aber im Moment der einzige Planet, den wir erreichen können. Das ist nun nicht das Dringendste, aber langfristig muss man darüber nachdenken, auch wenn man heute noch nicht sagen kann, was eines Tages daraus wird. Außerdem haben wir nun mal diesen Entdeckergeist in uns. So wie wir einst mit Schiffen über den Ozean ins Ungewisse aufbrachen, um fremde Kontinente zu entdecken, machen wir uns heute ins All auf. Neben allem, für was die Raumfahrt gut ist, das ultimative der Raumfahrt ist der Aufbruch zu fernen Planeten.
Erst einmal bleiben Sie aber auf der Erde . . .
. . . ja, genau.
Sie sind in den OHB-Aufsichtsrat gewählt worden. Herzlichen Glückwunsch. Was sind Ihre ersten Aufgaben?
Zunächst möchte ich OHB besser kennenlernen und mir ein Bild des Unternehmens machen. Ich kenne Marco Fuchs und den Vorstand, möchte aber auch sehr gerne mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sprechen, um einen noch tieferen Eindruck zu erlangen. Meine erste Priorität ist selbstverständlich, gut mit dem Vorstand zusammenzuarbeiten und mit dem Aufsichtsrat sicherzustellen, dass alles richtig läuft. Darüber hinaus werde ich mich gerne auf allen Ebenen austauschen, also da sein, als Jemand, der mit Rat und Tat zur Seite stehen kann, wo immer es gebraucht wird.
Darüber hinaus werde ich mich gerne auf allen Ebenen austauschen, also da sein, als Jemand, der mit Rat und Tat zur Seite stehen kann, wo immer es gebraucht wird.
Wenn das nicht gebraucht wird, auch okay. Ganz generell möchte ich – nach 20 Jahren in Amerika – aber auch die Lage in Europa besser erfassen, also wie wettbewerbsfähig Europa in der internationalen Raumfahrt ist und was es braucht, um zukunftsfähig zu sein. Andere Länder haben mitunter einen anderen Ansatz und reagieren sehr viel schneller auf Vorschläge aus der Wissenschaft oder aus den Raumfahrtunternehmen. In Europa wird ein 5-Jahres-Plan verabschiedet und da ist dann wenig Raum für schnelle Innovationskraft.
Zurück zu OHB. In den ersten Jahren war die Firma einer der wenigen Player auf dem Markt, heute – im weltweiten Boom der Space Branche – ist die Konkurrenz größer und es drängen immer mehr Start Ups auf den Markt. Wie bleibt das Unternehmen zukunftsfähig?
Als wir am ZARM mit OHB den Satelliten BremSat entwickelt haben – das war ja ein hochkomplexes Instrument, das hervorragende wissenschaftliche Ergebnisse geliefert hat – war die Firma noch klein, schnell in der Entwicklung und getragen von einer enormen Aufbruchstimmung. Diese Start Up-Mentalität muss man sich bewahren, mit ihr kann man auch in einem großen, etablierten Unternehmen operieren.
Flexibilität ist wichtig – und Kommunikation.
Flexibilität ist wichtig – und Kommunikation. Die Mitarbeitenden immer wieder motivieren und auch kommunizieren, warum und wofür ein Projekt, das einem Team viel abverlangt, gut und wichtig ist. Ich sehe hier viel Potential und Menschen, die das Unternehmen auf einen erfolgreichen Weg bringen. Aber wie gesagt, erst einmal muss ich mir ein umfassenderes Bild machen.
Und wie ist ihr Kontakt zu CEO Marco Fuchs?
Ich kenne ihn schon recht lange. Der Kontakt ist intensiver, seit OHB mehr mit SpaceX fliegt. Sein Vater Manfred Fuchs hat mit außergewöhnlich großer, visionärer Kraft das Unternehmen aufgebaut. Ein schönes, aber kein leichtes Erbe. Über die Jahre habe ich gesehen, wie Marco aus dem Schatten seines Vaters herausgetreten ist. Er hat seinen eigenen Stil entwickelt, eigene Ideen und damit ist er erfolgreich. Das freut mich für ihn und für OHB. Persönlich schätze ich an ihm, dass er sehr offen ist für neue Ideen und andere Sichtweisen.
Was empfehlen Sie jungen Menschen, die in der Raumfahrtbranche einen Job wollen?
Ich weiß nicht, ob man heute unbedingt Luft- und Raumfahrttechnik studieren sollte. Wenn man sich dafür entscheidet, ist man am Ende eine Systemperson und weiß von allem ein bisschen.
Welche Fähigkeiten braucht man stattdessen?
Ich fände es besser, wenn wir mehr junge Leute mit einem tiefen Wissen hätten. Thermodynamik ist wichtig, oder für die Antriebe, halt im Wesentlichen Physik, Mechanik, aber auch Software oder Elektronik. Ich sage aber jedem, er soll machen, was ihm Spaß macht. Ich hatte Freude an den Programmen, die ich geschrieben habe. Mich hat fasziniert, die Umgebung für den Satelliten auf dem Rechner nachzubilden, also komplexe Bewegungen und Prozesse zu simulieren. Diese Simulationssoftware, um den Satelliten am Boden zu testen und festzustellen, ob er im All funktioniert oder nicht, also der Hardware in the Loop Test, ist unheimlich wichtig. Die gleiche Software läuft heute noch auf meinem Rechner, natürlich in sehr abgeänderter Form.
Also tatsächlich der Beweis, dass man Erfolg haben kann, wenn man auf das vertraut, was in einem ist.
Ja, aber das zu erkennen kann mitunter länger dauern und schwierig sein. Ich wollte eigentlich Pilot werden, aber meine Augen waren zu schlecht. Klar ist man da erst einmal enttäuscht, wenn so ein Wunsch oder Plan nicht aufgeht. Viele Jahre später ist mir aber aufgefallen, dass das Gebiet, das ich mir statt der Piloten-Karriere ausgesucht hatte, also Guidance & Control, ja im Prinzip das ist, was auch ein Pilot macht – natürlich nur auf der programmierten Ebene, also nicht Stick and Rudder, aber alles in Software zu durchdenken, war und ist mein Ding.
Wenn wir gerade schon bei der Frage nach Erfolg sind – Haben Frauen die gleichen Chancen wie Männer in der Raumfahrt?
Es gibt immer noch zu wenig Frauen, die diesen Weg wählen. Ich würde mir wünschen, dass wir zu einem 50:50 Verhältnis kommen. In den USA sind wir näher dran als in Deutschland.
Wir müssen mehr junge Leute an die Unis bringen und sie für naturwissenschaftliche Fächer und Technik gewinnen.
Ganz generell müssen wir mehr junge Leute an die Unis bringen und sie für naturwissenschaftliche Fächer und Technik gewinnen. In dem Zusammenhang fällt mir auch ein, dass es doch unglaublich und auch superpeinlich ist, dass wir noch keine deutsche Astronautin ins All gebracht haben. Also nicht, dass ich da falsch verstanden werden, ich mag die neuen, deutschen Astronauten sehr, Alexander Gerst, Matthias Maurer, die sind echt klasse. Eine Frau könnte genauso gut für Deutschland ins All fliegen.
Sie haben zwei Töchter. Konnten sie die für Ihre Arbeit begeistern? Was sagt man da? Papa baut Raketen?
Die Tochter meiner Frau aus ihrer ersten Ehe, also meine Stieftochter, war gerade sechs Jahre alt, als ich am ZARM in Bremen anfing. Ich habe ihr im Institut gezeigt, woran ich arbeite. Wenn man etwas sehen kann, ist es oft auch leichter zu verstehen. Unsere Kleine ist dann hier in den USA geboren und mit SpaceX aufgewachsen. In den Sommerferien war sie so einmal in der Woche mit mir in der Firma und hat ganz natürlich mitbekommen, was wir da machen und auch die anderen Kinder kennengelernt, die da waren. Beide sind mittlerweile erwachsen. Die Große arbeitet in einem Biotech-Start Up in Berlin, die Kleine ist Hochfrequenz-Ingenieurin, ausgerechnet ein Gebiet, von dem ich wenig Ahnung habe, also bei höheren Frequenzen, da geht mir dann doch die Luft aus.
Okay, zurück zu den Raketen. „Jedem Wissen geht ein frühes Ahnen voraus“, schrieb Alexander von Humboldt einst. Wieviel „Humboldt‘sches Ahnen“ braucht man – auch als Ingenieur – um erfolgreich zu sein?
Je mehr man davon hat, umso besser. Die Frage ist immer, warum geht man in die eine oder in die andere Richtung. Vielleicht ahnt man, dass da was kommen könnte, was zum Durchbruch führt, also vertraut man diesem Gefühl und entwickelt weiter in diese Richtung.
Die Physik muss man aber doch auch beherrschen . . .
. . . klar, aber die Physik macht nichts anderes, als die Sachen zu beschreiben. Man versteht die Grundprinzipien. Gute Physik ist selbstverständlich ein unbedingtes Muss.
Wenn es möglich wäre, mit welcher Persönlichkeit der Historie würde Sie gerne über Ihre Arbeit fachsimpeln?
Jacques Cousteau. Er war ein Pionier, zwar auf einem anderen Gebiet, aber ja, er war ein Pionier und ihn faszinierten das Meer und die Fliegerei. Mich fasziniert, was er alles an technischen Geräten entwickelt hat. Wenn er noch leben würde, wäre es sicher sehr spannend, sich mit ihm auszutauschen oder mit ihm zu tauchen. Na ja, und ich hätte nichts dagegen, mit Wernher von Braun zu reden, sofern es denn ginge. Wäre interessant. Er ist nun mal der Vater der ersten Raketen.
In Interviews mit Ihnen gibt es immer viele Fragen zu SpaceX. Welche Frage können Sie gar nicht mehr hören?
Die Frage, wie es denn nun wirklich ist, für Elon Musk zu arbeiten. Ob das nicht schwierig sei oder wie man das aushält. Die Frage erübrigt sich, denn ich habe ja 19 Jahre ganz wunderbar mit ihm zusammengearbeitet. Außerdem gibt es bei SpaceX viele großartige Menschen, super Teams und gemeinsam schafft man den Erfolg.
Werden Sie SpaceX vermissen?
Ich bleibe weiter mit vielen in Kontakt. Was aber die Arbeit anbelangt, nun ja, man kann das nur für eine gewisse Zeit machen und 19 Jahre sind eine lange Zeit. Erfolg ist schön und gut, aber nichts worauf ich mich ausruhen möchte. Der Ruf ist verderblich wie Gemüse. Das, was man sich erarbeitet hat, muss man auch immer wieder neu einsetzen.
Sie sind bereits im Aufsichtsrat von Mynaric und jetzt im Aufsichtsrat von OHB. Wo geht die Reise hin? Bleiben Sie in Amerika oder siedeln Sie irgendwann wieder ganz nach Deutschland?
Wir bleiben in Los Angeles. Hier ist es für mich tatsächlich am spannendsten und wir fühlen uns wohl. Wir werden aber sehr viel mehr Zeit in Deutschland verbringen, mehr Zeit mit der Familie, was wir viele Jahre nicht konnten. Und wie ich ja sagte, unsere große Tochter lebt in Berlin und wir haben eine Enkeltochter. Es gibt aber auch noch einen anderen Gedanken, ich bin in Deutschland zur Uni gegangen und ausgebildet worden, habe dann den großen Teil meines Lebens in den USA gearbeitet. Nun kann ich vielleicht einiges an Erfahrung zurückgeben. Ich muss mich aber erst einmal wieder an Deutschland gewöhnen. Alles ist ein wenig langsamer als ich es aus Amerika kenne, und ich frage mich, warum es hier oft so langsam ist.
Ihr Lieblingsort in Bremen?
Ich mag das Schnoorviertel. Diese engen Gassen und Häuser, einige hunderte von Jahren alt und die Türen so klein – da sieht man doch, wie die Menschen gewachsen sind.
Eine letzte Frage Herr Königsmann. Der Physiker und Elektroingenieur Nikola Tesla behauptete, niemals länger als zwei Stunden pro Nacht zu schlafen. Er gab allerdings zu, von Zeit zu Zeit „zu dösen“, „um seine Batterien wieder aufzuladen“. Wo laden Sie ihre Batterien auf?
Also ich brauche definitiv mehr als zwei Stunden Schlaf. Sieben Stunden sind optimal. Ich kann aber auch mal gut mit weniger auskommen, wenn es denn nötig ist. Um wieder in Balance zu kommen, fliege ich. Meine Augen sind mittlerweile gelasert und ich hab‘ nur eine Lesebrille. Am Steuer muss ich den Kopf leer schaufeln und mich einzig und allein auf das Fliegen konzentrieren, sonst geht das schief. Danach fühle ich mich erholt und bin wieder offen für neue Sachen, selbst wenn ich nur eine Runde über den Platz fliege.
Was fliegen Sie denn?
Alles, was einen Propeller hat, zum Beispiel eine Piper Dakota. Ach ja, beim Tauchen geht es mir ähnlich, das ist zwar nicht so schnell, aber wunderschön und die gleiche oder aber eine ähnliche Konzentration ist nötig. Unter Wasser darf man ebenso wie in der Luft keine Fehler machen, muss also alles andere aus dem Kopf schieben und ist danach erholt. Zudem hab‘ ich ja vor etwa einem halben Jahr bei SpaceX aufgehört. Nicht mehr alle zwei Wochen einen Raketenstart zu haben, hat den Stresspegel schon sehr gut runtergebracht.
Herr Königsmann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und Ihre Zeit. Willkommen bei OHB.