Der Weltraum, unendliche Weiten. So beginnt jede Folge der Science-Fiction-Serie Raumschiff Enterprise. Das klingt nicht danach, dass Schrott im Weltraum in irgendeiner Form ein Problem darstellen könnte. Tut er aber. Denn: Anders als der Weltraum ist der Platz rund um die Erde nicht unendlich. Und dort wird es immer voller. Neben einer rasant ansteigenden Anzahl an funktionierenden Satelliten sind auch unzählige Überbleibsel vergangener Missionen im Orbit unterwegs und werden dort zur Gefahr. Was kann getan werden, um weniger Weltraumschrott zu produzieren? Das haben wir Dr. Charlotte Bewick vom OHB Space Debris Center of Competence gefragt.
Frau Dr. Bewick, was genau versteht man eigentlich unter Weltraumschrott?
Dr. Charlotte Bewick: Weltraumschrott besteht aus den Überbleibseln menschlicher Aktivitäten im All. Satelliten werden zu Weltraumschrott, sobald sie nicht mehr funktionieren. Ein anderes typisches Beispiel für Weltraumschrott sind Raketenoberstufen. Ein großes Problem sind aber auch Kollisionen im Orbit. Wenn Satelliten zusammenstoßen, entstehen regelrechte Trümmerfelder, die eine Gefahr für andere Raumfahrzeuge darstellen.
Warum ist Weltraumschrott so gefährlich?
Das liegt in erster Linie an der hohen Geschwindigkeit, mit der er sich bewegt. Wir reden hier von Geschwindigkeiten in der Größenordnung von über 30.000 Stundenkilometern. Selbst kleinste Schrottpartikel haben dadurch eine zerstörerische Kraft und können aktive Satelliten unbrauchbar machen. Und auch die ISS muss immer wieder Ausweichmanöver fliegen, um nicht von Weltraumschrott getroffen zu werden. Fatal ist auch, dass nach einer Kollision das Risiko von weiteren Kollisionen massiv ansteigt – eine Kettenreaktion setzt ein, die man in Fachkreisen das Kessler-Syndrom nennt. Wenn wir nichts dagegen unternehmen, ist es wahrscheinlich, dass irgendwann so viel Schrott die Erde umkreist, dass wir bestimmte Orbits nicht mehr für Satellitenmissionen nutzen können.
Wo überall befindet sich denn Weltraumschrott?
Im Prinzip überall dort, wo Menschen bisher im Weltraum aktiv waren. Bezogen auf die Erde gibt es bestimmte Orbits, die bereits heute ziemlich kontaminiert sind. Besonders in 700 bis 800 Kilometern Höhe. Dort gibt es kaum noch bremsende Atmosphäre. Dadurch verbleiben Objekte in diesen Höhen hunderte, manchmal sogar tausende Jahre. Gleichzeitig befinden sich in diesem Bereich viele Satelliten, da diese Bahnen für Erdbeobachtungsmissionen besonders geeignet sind. Unterhalb von 400 Kilometern verglühen Schrottteilchen innerhalb weniger Jahre beim Eintreten in die Erdatmosphäre.
Ist Weltraumschrott auch für die Menschen auf der Erde gefährlich? Ist es wahrscheinlich, von Schrottteilen getroffen zu werden?
Es kommt gar nicht so selten vor, dass Trümmerteile den Wiedereintritt in die Atmosphäre überstehen und den Boden erreichen. Bei kontrollierten Wiedereintritten wird deshalb darauf geachtet, dass die Trümmer nicht über besiedelten Gebieten niedergehen. Bei unkontrollierten Wiedereintritten besteht theoretisch die Möglichkeit, dass Trümmerteile besiedelte Gebiete treffen, allerdings kommt das extrem selten vor. Bisher ist kein Fall bekannt, in dem ein Mensch durch den Einschlag von Weltraumschrott zu Schaden gekommen ist. Trotzdem werden moderne Satelliten so konzipiert, dass sie möglichst vollständig in der Atmosphäre verglühen, um das Risiko weiter zu minimieren.
Welche Möglichkeiten gibt es, um Weltraumschrott zu vermeiden?
Jede Satellitenmission endet irgendwann und man muss sich von Anfang an fragen: Was passiert dann? Man kann Satelliten aus dem Orbit entfernen, indem man sie entweder so konstruiert, dass sie nach Dienstende von selbst in die Erdatmosphäre eintreten und verglühen oder man führt gezielt ein Manöver durch, welches zu einem kontrollierten Wiedereintritt führt. Es gibt auch die Möglichkeit, Satelliten auf einen Friedhofsorbit zu lenken. Dann verbleiben sie zwar im All, stellen aber keine Gefahr für andere Raumfahrzeuge dar. Diese Methode wird vor allem für geostationäre Satelliten genutzt, da diese so weit von der Erde entfernt sind, dass ein Wiedereintritt in die Atmosphäre keine Option ist.
Gibt es Standards oder Richtlinien, die den Umgang mit Weltraumschrott regeln?
Es gibt zum Beispiel die ISO 24113 und zurzeit entwickelt die ESA auch eigene noch umfassendere Regularien. Für unsere jetzigen Missionen sind die Regeln der ISO-Norm quasi unsere 10 Gebote und definieren die primären Anforderungen an die Vermeidung von Weltraummüll. Eine dieser Anforderungen ist, dass Satelliten auf niedrigen Erdumlaufbahnen spätestens nach 25 Jahren wieder in die Erdatmosphäre eingetreten sein müssen. Außerdem arbeiten wir gerade gemeinsam mit der ESA und anderen Unternehmen an der Zero Debris Charter. Diese soll für das Jahr 2030 Ziele für den verantwortungsvollen und nachhaltigen Umgang mit dem Weltraum definieren – wobei die Vermeidung von Weltraumschrott natürlich eine prominente Rolle spielt.
Was tut OHB, um Weltraumschrott zu vermeiden?
Wir haben bei OHB bereits seit einigen Jahren eine abteilungsübergreifende Arbeitsgruppe, die sich intensiv mit dem Thema Weltraumschrott beschäftigt: das OHB Space Debris Centre of Competence. Dort arbeiten verschiedene Spezialistinnen und Spezialisten, die mit ihrer Expertise alle Bereiche der Vermeidung von Weltraumschrott abdecken. Im Fokus ihrer Arbeit steht das Ziel, dass unsere Satelliten sicher aus dem Orbit entfernt werden können, beim Wiedereintritt möglichst vollständig verglühen und zuvor nach dem Ende ihrer aktiven Lebenszeit durch sogenannte Passivierung gesichert werden können. Dazu beraten sie unsere Teams zum Beispiel zum Regelwerk rund um Weltraumschrott oder simulieren, was während und nach dem Wiedereintritt mit unseren Satelliten passiert. Das hilft dabei, bestimmte Designentscheidungen zu treffen. Darüber hinaus wird in Technologiestudien auch an neuen Materialien geforscht, um die Anzahl der Komponenten, die den Wiedereintritt überstehen, weiter zu reduzieren. Außerdem forschen wir an Missionen zur aktiven Entfernung von bereits existierendem Weltraumschrott und Missionen, die zur Wartung von schwächelnden Satelliten eingesetzt werden können.
Ist es realistisch, dass es eine Zukunft gibt, in der Weltraumschrott kein Problem mehr darstellt?
Wir arbeiten bei OHB darauf hin, dass unsere Satelliten schon in naher Zukunft keinen Weltraumschrott mehr produzieren, indem wir eine sogenannte „Zero-Debris“-Satellitenplattform entwickeln. Um das Problem vollends in den Griff zu kriegen, bräuchten wir allerdings einen orbitalen Abschleppdienst, um zumindest einen Teil des bereits im All befindlichen Schrotts zurück zur Erde zu holen. Dazu gibt es schon viele interessante Studien und Missionsentwürfe, durchgeführt wurde ein solches Manöver allerdings noch nicht. Gescheitert ist es bisher am Geld. Nachdem sich das Problem in den letzten Jahren aber weiter verschärft hat, sieht es für die Zukunft besser aus. Mehrere Konsortien arbeiten ernsthaft an einem Demonstrator für einen solchen Abschleppdienst. Voraussichtlich 2026 wird der erste davon gelauncht. Wir dürfen gespannt sein.