Sabine von der Recke, Vorständin der OHB System AG, spricht im Interview über den Brandanschlag auf OHB, der in der Silvesternacht auf ein Firmengebäude am Bremer Standort verübt wurde.
Seit dem Brandanschlag auf ein Gebäude am Standort Bremen ist etwas mehr als eine Woche vergangen. Wie geht es Ihnen und der Belegschaft inzwischen?
Sabine von der Recke: Die Tage, die seit der Silvesternacht vergangen sind, haben uns alle verstört und aufgewühlt, die Belegschaft ist zumindest erheblich verunsichert, zum Teil auch verängstigt und wir fragen uns, was das alles zu bedeuten hat. Viele Kolleginnen und Kollegen sind erst diese Woche aus den Ferien zurückgekommen und begreifen das Ausmaß und die Auswirkungen erst jetzt. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass auch ich es erst richtig verstanden habe, als ich vor dem Gebäude stand; wenn man Flatterband von der Polizei und ausgebrannte Fenster sieht und den Brandgeruch in der Nase hat, dann rutscht einem schon mal kurz das Herz ein paar Zentimeter runter.
Haben Sie schon eine erste Erklärung gefunden, warum die Gewalt OHB getroffen hat?
Noch nicht so richtig und ich weiß auch nicht, ob wir dafür überhaupt eine rationale Erklärung finden werden - ich kann mir ehrlich gesagt überhaupt gar keine Frage vorstellen, auf die Brandsätzewerfen die Antwort sein könnte.
Die Öffentlichkeit hat den Anschlag jedoch breit verurteilt, die Anteilnahme war groß …
Ja, und für diese große Solidarität möchte ich mich im Namen der gesamten OHB-Gruppe sehr herzlich bedanken. Der Senat der Freien Hansestadt Bremen hat sich viel und mehrfach Zeit genommen, um sich ein eigenes Bild der Lage zu machen und mit uns in den Austausch zu gehen. Unsere Kunden und Gesprächspartner aus der Bundesregierung, von der ESA und der Europäischen Kommission haben uns in vielen Anrufen, Nachrichten und E-Mails und auch in öffentlichen Aussagen und in den sozialen Medien Zuspruch geleistet und ihre Erschütterung über das Ausmaß der Gewalt und des Zerstörungswillens der Täter geäußert. Wir waren auch sehr froh zu hören, dass diese gewaltsame Art der politischen Auseinandersetzung parteiübergreifend und quer durch alle Gesellschaftsschichten scharf verurteilt wird. Es hilft in so einer Situation schon sehr, wenn man merkt, dass man nicht alleine ist. Dafür möchte ich mich im Namen aller Mitarbeitenden des Unternehmens ganz herzlich bedanken.
Wie geht das Unternehmen nun damit um, Ziel von linksextremistischen Gruppen zu sein?
Wir empfinden es als ungerecht und über die Maßen unzutreffend, als Feinde der Freiheit angeprangert zu werden. Unser Selbstverständnis ist das eines weltoffenen, modernen Raumfahrtunternehmens, das am Standort Bremen im Stile eines offenen Campus beheimatet ist, weil wir ganz bewusst die Öffnung zu unseren Nachbarn im Technologiepark und vor allem zur Universität leben. Da erscheint es geradezu absurd, dass ausgerechnet wir uns mit Vorwürfen von Verschleierung und vermeintlich heimlichen Geschäften auseinandersetzen müssen. Als börsennotiertes Unternehmen sind wir transparenzpflichtig, und dies war im Übrigen auch eine nicht unwesentliche Überlegung beim Gang an die Börse vor nunmehr 20 Jahren.
Es gibt aber auch noch einen weiteren Aspekt, der für mich ganz wichtig ist: Freiheit und Sicherheit gibt es nur im Paket, das steht im Grundgesetz und das verpflichtet den Staat, die Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Jeder kennt das Gefühl von Unsicherheit und wir alle wissen, dass Angst kein guter Berater ist. Sicherheit ist dabei auch ein sehr subjektives Empfinden und sie ist vielschichtig. Man kann sich vortrefflich darüber streiten, was der Wechselkurs zwischen Freiheit und Sicherheit ist, und wir alle haben das gerade erst mit den Freiheitsbeschränkungen im Rahmen der Corona-Politik hautnah erlebt.
Für viele Menschen ist finanzielle Absicherung ein wesentlicher Faktor für ein umfangreiches Sicherheitsempfinden. Die Galileo-Satelliten, die bei uns in Bremen für die erste Generation von Europas Satellitennavigationssystem entwickelt und gebaut wurden, und die für den schnellen und reibungslosen Zahlungsverkehr im internationalen Bankensystem essentiell sind, tragen für jeden unbemerkt zur Sicherheit bei. Die Wettersatelliten der nächsten Generation, die bei uns entstehen, werden die Wettervorhersage immens verbessern und werden dadurch dazu beitragen, dass Logistik, Flugverkehr und Ernten besser und mit größerer Sicherheit geplant werden können. Für das europäische Erdbeobachtungsprogramm Copernicus entwickeln wir Satelliten zur Detektion von CO2, die dazu beitragen werden, dass klimaschädliche Emissionen besser aufgespürt und die Quelle versiegt werden kann. Dass die stetige Erderwärmung uns mit großer Wahrscheinlichkeit schon mittelfristig in unserer Freiheit einschränken wird, weil z.B. Flugreisen nicht mehr zu den heute herrschenden Preisen angeboten werden können, ist bekannt.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass OHB Projekte für die Bundeswehr macht.
Richtig, dazu genügt ein kurzer Blick auf unsere Website: ja, wir sind in Kundenbeziehungen zu staatlichen Stellen und ja, einer unserer Kunden ist die Bundesrepublik Deutschland, für die wir unter anderem Satellitenaufklärungssysteme und Telekommunikationssatelliten entwickeln und bauen. OHB ist aus einem Hydraulikbetrieb hervorgegangen, der in der Wartung von Marineschiffen engagiert war, der Kunde Bundeswehr war also schon da bevor wir überhaupt mit Raumfahrtaktivitäten angefangen haben. Der erste große Auftrag für OHB am Standort Bremen war das deutsche Radaraufklärungssystem SARLupe, das für die Bundeswehr ein essentielles Instrument zur Sicherstellung der Einsatzfähigkeit ist. Das ist alles ganz transparent auf unserer Website nachzulesen.
Und was ist mit Frontex?
Mitnichten verstecken wir uns hinter hohen Mauern oder versuchen, uns von irgendetwas reinzuwaschen, denn wir sind ja gar nicht schmutzig. Ich habe den Vorwurf registriert, dass OHB Geschäftsbeziehungen zur europäischen Grenzschutzpolizei Frontex unterhalten soll. Das ist falsch. OHB unterhält keine Geschäftsbeziehungen zu Frontex. Und wenn es so wäre, würden wir es genauso öffentlich machen, wie wir es mit anderen Geschäftsbeziehungen sonst auch tun. Ich weiß natürlich, dass es wenig Aussicht auf Erfolg hat, die Täter aus der Silvesternacht mit diesen Argumenten anzusprechen. Ich hoffe jedoch sehr, dass die vielen anderen Menschen, die durch die breite Berichterstattung rund um den Brandanschlag nun vielleicht das erste Mal etwas über das Raumfahrtunternehmen OHB aus Bremen gehört haben, ein wenig mehr sachliche Informationen gewonnen haben. Die Welt ist nun mal nicht schwarz oder weiß. Sie ist eine recht breite Palette von grau – oder wer es gern bunter mag: ein sehr breites Spektrum vieler verschiedener Farbtöne. Das gilt übrigens auch für uns selbst. Das Unternehmen OHB ist vielfältig und weltoffen und es ist der Eigentümerfamilie Fuchs schon seit jeher ein Anliegen gewesen, dass innerhalb der Firma ein reger Diskurs geführt und viele verschiedene Meinungen und Ansichten vertreten werden. Wir empfinden die Lust an der Debatte und den Austausch von Argumenten als wesentlichen Aspekt für kreatives Arbeiten. Wir führen daher auch zu politischen Themen viele Gespräche und Diskussionen und es gibt natürlich in der Belegschaft auch einige kritische Mitarbeitende, die es auch lieber hätten, wir würden keine Geschäfte mit der Bundeswehr machen. Diesen Diskurs führen wir regelmäßig und empfinden ihn immer als bereichernd.
Was wünschen Sie sich in der öffentlichen Auseinandersetzung?
Genau diese Art der Auseinandersetzung, die ich gerade für unser Unternehmen beschrieben habe, wünsche ich mir auch für die Gesellschaft. Man darf und sollte aus meiner Sicht streiten und ich mache das auch gerne, aber natürlich immer auf der Ebene des Dialogs und niemals mit Gewalt. Es gibt dabei – so ist das Leben – auch unversöhnliche Standpunkte. Dann versteht man sich halt nicht; was wäre die Welt langweilig, wenn wir uns immer alle einig wären. Aber das ist allemal besser, als seine Argumente mit Gewalt durchsetzen zu wollen und dabei billigend in Kauf zu nehmen, dass Menschen zu Schaden kommen. Gewalt kann und darf niemals die Lösung dabei sein, politische Auseinandersetzungen zu führen. Schon gar nicht in freiheitlich-demokratischen Gesellschaften wie der unseren.