Pressemitteilung

Grundlagenforschung im Weltraum

Komplexen Plasmen auf der Spur

Oberpfaffenhofen, 6. Dezember 2019. Dreidimensionale komplexe Plasmen im Weltraum standen am 5. und 6. Dezember im Mittelpunkt einer wissenschaftlichen Veranstaltung am DLR Standort Oberpfaffenhofen bei München. Die 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer tauschten sich über die wissenschaftlichen Ergebnisse des Plasmalabors „PK-4“ aus, das sich seit fünf Jahren an Bord der Internationalen Raumstation ISS befindet und an dem die OHB System AG maßgeblich beteiligt ist. Die Bilanz nach der achten Mission des Plasmalabors fiel durchweg positiv aus.

„Auch nach fünf Jahren erhalten wir neue Erkenntnisse. Denn PK-4 erlaubt als vielfältiges Labor einer großen Nutzergemeinschaft sehr breite Forschungsmöglichkeiten, die noch lange nicht ausgeschöpft sind“, erklärt Dr. Hubertus Thomas, der am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die Gruppe Komplexe Plasmen des Instituts für Materialphysik im Weltraum leitet und auf deutscher Seite die wissenschaftliche Arbeit mit PK-4 führt. „Erste Erkenntnisse über den Erfolg der Experimente können wir anhand des Live-Datenstroms erhalten, der uns während der Durchführung im Kontrollzentrum in Toulouse zur Verfügung steht.“

„Auch beim achten Einsatz hat sich unser Plasmalabor bewährt“, sagt Roland Seurig, Projektleiter PK-4 bei der OHB-System AG. „Ein Highlight ist immer wieder die enge Zusammenarbeit zwischen Kosmonauten auf der Raumstation und den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Kontrollraum, damit die besten Ergebnisse erzielt werden.“ Hauptakteur im All war neben dem im Columbus-Modul fest installierten Forschungslabor PK-4 der russische Kosmonaut Aleksandr Skvortsov. Vom Bodenkontrollzentrum CADMOS in Toulouse aus haben auch OHB-Mitarbeiter die vom 08.-14. November 2019 im Rahmen einer ESA-Mission durchgeführten Arbeiten aktiv unterstützt.

Im vierten Aggregatzustand

Plasma ist neben fest, flüssig und gasförmig der vierte Aggregatzustand von Materie. Plasmen sind geladene, also elektrisch leitende Gase. Im All befinden sich mehr als 99 Prozent der sichtbaren Materie (also Sterne, Gaswolken etc.) in diesem Aggregatzustand. Hier auf der Erde kennen wir Plasmen als Blitze, aber auch als künstlich hergestellte Materie in Leuchtstoffröhren oder Plasmafernsehern.

Komplexe Plasmen1) können am besten untersucht werden, wenn sie wie im Weltraum frei schweben und nicht auf wenige Gitterebenen begrenzt sind. Daher werden Plasmakristalle2) seit 2001 an Bord der ISS erforscht. PK-4 ist das dritte von der OHB System AG konzipierte ISS-Plasmalabor, mit dem auf der ISS geforscht wird.

PK-4 Erkenntnisse sind vielfältig einsetzbar

„Wir möchten durch die Forschungsarbeit an komplexen Plasmen neue Erkenntnisse über die Physik kondensierter Materie und für verschiedene astrophysikalische Fragestellungen erlangen. Als Modellsysteme können komplexe Plasmen in der Kristallografie, der Physik von Flüssigkeiten und Gasen oder in der Nanotechnologie genutzt werden“, erklärt Dr. Thomas. „Darüber hinaus kann das gewonnene technologische Know-how auch den Weg für künftige Anwendungen der Plasmatechnologie in der Mikrochip-Produktion oder im medizinischen Bereich ebnen.“

PK-4 ermöglicht die systematische Untersuchung, wie sich Mikropartikel in komplexen Plasmen verhalten. PK-4 erzeugt Plasmakristalle in einer mit Edelgas gefüllten Glasröhre durch eine Gleichstromentladung. PK-4 wurde für die Untersuchung der flüssigen Phase komplexer Plasmen auf kinetischem Level konzipiert. Der Fokus liegt auf der Untersuchung von Strömungseigenschaften (etwa Turbulenzen) in Mikropartikelwolken. Es geht um Selbstorganisationseffekte wie Ketten- und Linienbildung, Entmischung, Wirbelbildung und Synchronisation.

OHB in Doppelrolle

Im Auftrag der ESA war bzw. ist OHB für alle Systemaufgaben des permanenten Plasmaforschungslabors PK-4 verantwortlich und hat zwei Rack-Einschübe entwickelt und gefertigt, die Stromversorgung, Kommunikation und Datenaufzeichnung (140 MB/s an digitalen Daten und digitalen Videos) sicherstellen. Außerdem realisierte OHB einen Großteil der mechanischen Struktur, insbesondere den Experimentcontainer, sowie die Steuerungs- und Bediensoftware.

PK-4 ist im EPM-Rack (European Physiology Module) des Europäischen Forschungsmoduls Columbus untergebracht, das ebenfalls von OHB verantwortet wird und dafür sorgt, dass PK-4 ausreichend mit Strom versorgt und gekühlt wird. Über die EPM-Bodeninfrastruktur wird sichergestellt, dass die Experimente vom Boden aus steuerbar sind und die Wissenschaftler mit den Daten versorgt werden.

PK-4 Partner

PK-4 ist ein Projekt der europäischen Weltraumorganisation ESA und der russischen Raumfahrtbehörde ROSKOSMOS, bei dem die wissenschaftliche Führung bei der Gruppe Komplexe Plasmen des DLR-Instituts für Materialphysik im Weltraum (vormals am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, MPE) und der Russischen Akademie der Wissenschaften (Joint Institute for High Temperatures, JIHT) liegt. Das Forschungslabor PK-4 wurde von der OHB System AG in Zusammenarbeit mit MPE entwickelt und realisiert. Eine zusätzliche Finanzierung in Deutschland erfolgte durch das Raumfahrtmanagement des DLR und der Max-Planck-Gesellschaft.

1. Komplexe Plasmen sind aus Ionen, Elektronen, Neutralgas und Mikropartikeln zusammengesetzte Plasmen. Die elektrostatische Wechselwirkung der stark negativ aufgeladenen Mikropartikel zeigt eine Fülle interessanter Phänomene auf.
2. In Plasmakristallen sind die Mikropartikel gleichmäßig angeordnet. Ein Plasmakristall kann aber auch schmelzen und ein komplexes Plasma wie eine Flüssigkeit strömen, wenn man das elektrische Feld und den Gasdruck entsprechend variiert.

 

Das PK-4 Team zog eine positive Bilanz der wissenschaftlichen Ergebnisse des Plasmalabors „PK-4“ auf der ISS. © DLR
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