Um zu verhindern, dass der Klimawandel bestimmte Kipppunkte überschreitet, wird Geoengineering möglicherweise irgendwann unumgänglich.

"Geoengineering ist ein Thema in der Klimaforschung"

Langfristig ist die Abkehr von fossilen Brennstoffen unumgänglich – um Kipppunkte in der Klimaentwicklung zu vermeiden, kann Geoengineering aber dennoch notwendig werden

Prof. Dr. Gerrit Lohmann ist Klimaforscher und Leiter der Sektion „Dynamik des Paläoklimas“ am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Ein Schwerpunkt seiner Forschung liegt auf der Identifizierung von Treibermechanismen für vergangene und zukünftige Klimaveränderungen. Im Interview erklärt er, welchen Einfluss der Mensch auf das globale Klima hat und warum seiner Meinung nach das Thema Geoengineering unvoreingenommen diskutiert werden sollte.

Herr Professor Lohmann, gibt es den Klimawandel?

Gerrit Lohmann: Den gibt es definitiv! Der Mensch greift im Prinzip schon seit der Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht massiv in seine Umwelt ein und hat auf diese Weise ganze Landschaften geformt. Spätestens seit Beginn der Industrialisierung werden durch menschliche Aktivitäten zudem große Mengen an Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre abgegeben. Zwar gab es in der Erdgeschichte Zeiten, in denen die Menge an Treibhausgasen in der Atmosphäre noch deutlich höher war als heute, einen derart steilen Anstieg des CO2-Gehaltes gab es aber vorher noch nie. Und Treibhausgase sind ein entscheidender Faktor für Klimaveränderungen. Im Vergleich zur vorindustriellen Zeit ist es heute auf unserer Erde im Durchschnitt gut 1 °C wärmer.

Aber hat sich das Klima in der Erdgeschichte nicht auch ohne menschlichen Einfluss immer wieder verändert?

Natürlich, das Klima auf der Erde ist von ganz unterschiedlichen Faktoren abhängig und verändert sich ständig. In der Erdgeschichte gab es Warmzeitalter mit viel höheren Temperaturen. Anders als viele Menschen glauben, befinden wir uns momentan in einem Eiszeitalter, das ist daran zu erkennen, dass die Polarregionen mit Eis bedeckt sind. Und auch innerhalb von Eiszeitaltern wechseln sich Kalt- und Warmzeiten ab. Die letzte Kaltzeit endete vor gut 11.000 Jahren, derzeit herrscht demnach eine Warmzeit innerhalb eines Eiszeitalters. Der Wechsel von Kalt- zu Warmzeiten verläuft zyklisch und lässt sich relativ gut berechnen.

Anders als viele Menschen glauben, befinden wir uns momentan in einem Eiszeitalter, das ist daran zu erkennen, dass die Polarregionen mit Eis bedeckt sind.
 

Welche Faktoren sind es, die das Klima auf der Erde beeinflussen?

Der Wechsel von Kalt- und Warmzeiten wird in erster Linie durch Veränderungen der Erdbahnparameter hervorgerufen. Durch Wechselwirkungen mit anderen Planeten ändert sich die Konfiguration von Erde und Sonne in regelmäßigen Abständen. Das bedeutet, dass sich sowohl der Abstand der Erde zur Sonne, als auch die Schwingung und Neigung der Erdachse in berechenbaren Zyklen verändern. Die daraus resultierenden Unterschiede in der Sonneneinstrahlung reichen allerdings nicht aus, um das Ausmaß der Temperaturunterschiede zwischen Kalt- und Warmzeiten vollständig zu erklären. An dieser Stelle kommen positive Rückkopplungen wie die Eis-Albedo-Rückkopplung und die Freisetzung von Treibhausgasen in die Atmosphäre ins Spiel. Diese treten auch als Teil natürlicher Klimaveränderungen auf und verstärken die Auswirkungen der veränderten Sonneneinstrahlung.

Inwiefern?

Eis reflektiert einen Großteil des einfallenden Sonnenlichts. Nimmt die Menge an Eis durch steigende Temperaturen ab, wird weniger Sonnenlicht reflektiert und die Temperaturen steigen weiter, was wiederum eine weitere Abnahme der Eismenge zur Folge hat. Der Effekt ist selbstverstärkend. Ähnlich verhält es sich mit den Treibhausgasen. Treibhausgase verringern die Menge an Wärme, die in den Weltraum abgestrahlt werden kann, dadurch erhöht sich die Temperatur der Atmosphäre. Mit jedem Grad Temperaturerhöhung kann die Atmosphäre aber mehr Wasserdampf aufnehmen, was wiederum die Treibhauswirkung verstärkt.

Also schwankt die Menge an Treibhausgasen in der Atmosphäre auch durch natürliche Ursachen?

Ja, zum Beispiel war im Übergang vom Paläozän zum Eozän vor ungefähr 56 Millionen Jahren die Menge an Treibhausgasen in Atmosphäre noch sehr viel höher als heute. In Folge der angesprochenen positiven Rückkopplung gab es damals eine sehr kurze, aber extreme Erwärmungsphase. Dabei stieg die globale Temperatur innerhalb von 4.000 Jahren im Durchschnitt um etwa 6 °C an - was Dürren, den Verlust von Vegetation und ein Massenaussterben zur Folge hatte.

Könnte dann nicht auch die gegenwärtige Erwärmung rein natürliche Ursachen haben?

Nein, die derzeitige globale Erwärmung hat in der Erdgeschichte keine Entsprechung. Da sind die Daten eindeutig. Nicht umsonst spricht man ja vom Anthropozän, also einer neuen Epoche in der Erdgeschichte, die menschengemacht und anders als alle bisherigen Epochen ist.

Die derzeitige globale Erwärmung hat in der Erdgeschichte keine Entsprechung. Nicht umsonst spricht man ja vom Anthropozän, also einer neuen Epoche in der Erdgeschichte, die menschengemacht und anders als alle bisherigen Epochen ist.

Woher kommen denn die Daten über vergangene Epochen der Erdgeschichte?

Für die letzten 150 Jahre gibt es bereits relativ zuverlässige Daten zu Wetter und Klima, die aus instrumentellen Messungen stammen. Geht man weiter zurück, muss auf spezielle Mess- und Bestimmungsmethoden zurückgegriffen werden. Dazu zählt vor allem die Auswertung von sogenannten Klimaproxys. Dabei handelt es sich um natürliche Klimaarchive wie Baumringe, Eisbohrkerne, Ozeansedimente oder Pflanzenpollen. Daraus kann nicht nur die Verteilung vergangener Klimazonen rekonstruiert werden, sondern es lassen sich auch Aussagen über die Temperaturen, die Menge an Niederschlägen und die Atmosphärenzusammensetzung in einer bestimmten Epoche treffen.

Können aus den Daten über die Vergangenheit Prognosen für die Zukunft abgeleitet werden?

Ja und nein. Obwohl diesbezüglich in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht worden sind, bleibt es weiterhin schwierig, verlässliche Aussagen über die zukünftige Klimaentwicklung zu machen. Das Paläoklima zeigt uns aber die Vielfalt der möglichen Entwicklungen auf. Man kann sich sonst nur schwer vorstellen, was überhaupt passieren kann.

Das Paläoklima zeigt uns die Vielfalt der möglichen Entwicklungen auf.

Aber gibt es nicht Klimamodelle, anhand derer versucht wird, die zukünftige Klimaentwicklung vorauszusagen?

Ja, die gibt es, aber man muss dabei berücksichtigen, dass Klimamodelle zu den komplexesten und rechenaufwendigsten Computermodellen gehören, die bisher erstellt wurden. Und damit man überhaupt eine Aussagekraft erhält, muss man die Randbedingungen so offen wie möglich halten. Zu diesen Randbedingungen zählen zum Beispiel die Erdorbitalkonfiguration, die Menge an Treibhausgasen in der Atmosphäre oder die Sonnenaktivität. Hinzu kommt eine große Menge an weiteren Parametern, die berücksichtigt werden müssen, zum Teil aber noch nicht vollständig verstanden sind. In der Praxis führt das dazu, dass wir sehr viele unterschiedliche Klimaszenarien durchrechnen und diese mit den Daten aus der Vergangenheit abgleichen. Wir testen also die Modelle, die für Zukunftsprognosen eingesetzt werden, für die Erdvergangenheit. Im Prinzip ist das auch der stärkste Test, den man machen kann. Das ist auch der Grund dafür, dass sich die Paläoklimaforschung zu einem Kerngebiet der Klimaforschung entwickelt hat.

Und diese Modelle zeigen, dass die Erde sich in der Zukunft weiter erwärmen wird?

Klimaprognosen können immer nur eine Spannweite von Möglichkeiten aufzeigen. Für die globale Erwärmung liegt die Spannweite des erwarteten Anstiegs der durchschnittlichen Temperatur bis zum Jahr 2100 bei 1,1 bis 6,4 °C. Und die Klimavergangenheit zeigt, dass ein solcher Temperaturanstieg drastische Folgen hätte. Abschmelzendes Eis könnte zum Beispiel einen Meeresspiegelanstieg von mehreren Metern hervorrufen.

Wenn der derzeitige Klimawandel ein Nebeneffekt menschlicher Aktivitäten ist, gibt es dann auch Möglichkeiten, das Klima gezielt zu beeinflussen?

Ja, dazu gibt es verschiedene Ideen. Geoengineering ist durchaus ein Thema in der Klimaforschung. Bisher werden aber vor allem die Risiken von Geoengineeringkonzepten untersucht. Allgemein besteht ein hohes Maß an Skepsis gegenüber Geoengineering. Das liegt daran, dass die Erde ein hochkomplexes System darstellt, das bis heute nicht vollständig verstanden ist. Meiner Meinung nach sollte man das Thema aber unvoreingenommen diskutieren. Zumal der Mensch schon seit seiner Sesshaftwerdung unbewusst Geoengineering betreibt und der Klimawandel eine direkte Folge davon ist. Langfristig wird es keine Alternative dazu geben, fossilen Brennstoffen den Rücken zu kehren und ich bin davon überzeugt, dass die Menschheit die dazu notwendigen Technologien auch entwickeln wird. Die Frage ist aber, ob die Zeit dazu reicht. Möglicherweise werden Geoengineeringansätze notwendig, um zu vermeiden, dass der Klimawandel bestimmte Kipppunkte überschreitet.

Langfristig wird es keine Alternative dazu geben, fossilen Brennstoffen den Rücken zu kehren. Die Frage ist aber, ob die Zeit dazu reicht. Möglicherweise werden Geoengineeringansätze notwendig, um zu vermeiden, dass der Klimawandel bestimmte Kipppunkte überschreitet.

Das heißt, es führt kein Weg daran vorbei, Treibhausgasemissionen zu reduzieren?

Nein, langfristig kann die Klimakrise nur durch die Abkehr von fossilen Brennstoffen gelöst werden. In vielen Bereichen sind die ersten Schritte gemacht, aber um uns komplett von Erdöl, Erdgas und Kohle zu lösen, brauchen wir noch mehr Zeit. Und da kommen dann eben Geoengineeringkonzepte ins Spiel.

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