OHB beschäftigt sich seit 2019 mit dem Thema Geoengineering. Anfang 2021 wurde ein Konsortium mit mehreren Forschungsgruppen aus verschiedenen Ländern ins Leben gerufen, um das Thema aus möglichst vielen unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Zum Jahresende blickt Projektleiter Tomas Hamann noch einmal auf die Aktivitäten im Konsortium zurück und erklärt, warum es nach wie vor wichtig ist, sich dem Thema Geoengineering unvoreingenommen zu nähern.
Herr Hamann, unser letztes Interview ist nun fast ein Jahr her. Was hat sich seither getan?
Tomas Hamann: Oh, eine ganze Menge. Als wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben, befand sich unser Konsortium zum Thema Geoengineering noch in der Gründungsphase. Seitdem hat die Sache deutlich an Fahrt aufgenommen. Wir haben weitere Mitglieder dazugewonnen und auch schon erste Ergebnisse gesehen. Ich bin beeindruckt von dem Engagement, mit dem die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an das Thema herangegangen sind. Aktuell bewirbt sich das Konsortium um ein Marie-Skłodowska-Curie-Stipendium. Das ist absolut großartig, weil ein Erfolg es zehn Doktoranden ermöglichen würde, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Dadurch würde unser Projekt natürlich noch einmal erheblich erweitert.
Wird das Konsortium in Zukunft weiter wachsen?
Ich denke, dass Untersuchungen wie diese immer so multidisziplinär wie möglich sein sollten. Wenn man an einem derart komplexen Thema arbeitet, kann es sonst nur zu leicht passieren, dass entscheidende Fachrichtungen übergangen werden. Nicht aus bösem Willen, sondern einfach, weil das Wissen fehlt. Deshalb sollten wir in Zukunft auf jeden Fall noch mehr Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Fachkenntnissen einbeziehen.
Ich denke, dass Untersuchungen wie diese immer so multidisziplinär wie möglich sein sollten. Wenn man an einem derart komplexen Thema arbeitet, kann es sonst nur zu leicht passieren, dass entscheidende Fachrichtungen übergangen werden.
War Geoengineering Ihnen ein Begriff, bevor Sie angefangen haben, sich im Rahmen der Studien bei OHB damit zu befassen?
Ja, ich hatte bereits davon gehört, aber mit dem Beginn unserer eigenen Untersuchungen wurde das Thema plötzlich sehr konkret. Ich betrachte es als ein neues Fachgebiet, das ich mir angeeignet habe. Vor dem Projekt bei OHB war mein Wissen über Geoengineering zugegebenermaßen ziemlich oberflächlich und ging kaum über die Definition des Begriffs an sich hinaus. Jetzt habe ich ein viel klareres Bild.
Und wie sieht das aus?
Ursprünglich haben wir vor allem darüber nachgedacht, wie wir die thermischen Auswirkungen der erhöhten Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre mit einem Schutzschild zwischen Sonne und Erde kompensieren können – und zwar vollständig. Das Problem daran ist, dass unsere bisherigen Untersuchungen ein Missionsszenario ergeben, das aufgrund der Anzahl der benötigten Raumfahrzeuge viel zu teuer und zeitaufwändig ist. Aber was wäre, wenn wir uns der Problematik aus einer anderen Richtung nähern? Wenn wir an eine weniger extreme Anzahl von Raumfahrzeugen denken – vielleicht 1.000 oder so – und uns dann überlegen, welchen Effekt man mit diesen erzielen könnten, könnten wir zu einem realisierbaren Missionsszenario kommen, das zwar den thermischen Auswirkungen des Klimawandels nicht vollständig entgegenwirkt, aber dennoch helfen könnte, gefährliche Kipppunkte zu vermeiden.
Also sollten wir weiter an der raumfahrtbasierten Lösung arbeiten?
Ja, aber natürlich nicht nur. Die raumfahrtbasierte Lösung ist nur eine von mehreren möglichen Lösungen, die wir in Betracht ziehen sollten.
Hat sich Ihre persönliche Meinung zum Thema Geoengineering während des Projekts geändert?
Nein, nicht wirklich. Oder zumindest kaum. Ich glaube nach wie vor, dass Geoengineering kein magisches Allheilmittel ist. Wir müssen auf jeden Fall damit beginnen, die Klimakrise durch eine drastische Reduzierung unserer Emissionen anzugehen. Das ist auf jeden Fall Plan A. Eine Möglichkeit, dies zu tun, ist, die richtigen Leute in die entscheidenden politischen Ämter zu wählen. Wenn die Reduzierung von Emissionen aber nicht ausreicht oder nicht schnell genug geht, sollten wir uns auf den Einsatz von Technologien konzentrieren, die das bereits in der Atmosphäre vorhandene Kohlenstoffdioxid unschädlich machen. Wenn man eine Badewanne hat, die überzulaufen droht, sollte man natürlich zuerst versuchen, den Wasserhahn zuzudrehen, aber gleichzeitig kann man auch einen Eimer nehmen und anfangen zu schöpfen, um den Wasserstand zu verringern. Um das Problem bei der Wurzel zu packen, reicht es aber natürlich nicht aus, nur den Eimer zu benutzen. Wasser zu schöpfen hilft zwar, aber auf lange Sicht muss man immer noch den Wasserhahn zudrehen.
Wir müssen auf jeden Fall damit beginnen, die Klimakrise durch eine drastische Reduzierung unserer Emissionen anzugehen. Das ist auf jeden Fall Plan A. Eine Möglichkeit, dies zu tun, ist, die richtigen Leute in die entscheidenden politischen Ämter zu wählen.
Und welche Rolle spielt das raumfahrtbasierte Konzept?
Erst wenn sich die Pläne A und B als unzureichend erweisen, um die Klimakrise zu bewältigen, kommt als Plan C das raumfahrtbasierte Konzept ins Spiel. Die Wechselwirkung mit der Sonne macht unsere Erde zu dem Planeten, der sie ist. Daran zu rütteln wäre ein massiver und extrem unnatürlicher Eingriff in die grundlegende Funktionsweise unseres Planeten. Es würde bedeuten, das Klima wieder in einen Zustand zu zwingen, der uns gefällt. Wir untersuchen dieses Thema nun schon seit über einem Jahr, aber wir sind noch weit davon entfernt zu verstehen, welche Auswirkungen der Einsatz eines solchen Systems haben würde. Ich denke, die Skepsis gegenüber der Idee eines Sonnenschildes ist begründet.
Aber wir sollten uns trotzdem weiterhin damit befassen?
Ja, auf jeden Fall. Ich denke, wir müssen das Thema weiterhin so objektiv wie möglich untersuchen. Nur so können wir Fakten erhalten. Und diese Fakten brauchen wir, um fundierte Entscheidungen zu treffen.
Was ist die zukünftige Rolle von OHB innerhalb des Konsortiums?
Ich denke, dass die Koordinierung der Aktivitäten des Konsortiums durch OHB für alle Beteiligten sehr gut funktioniert hat. Darüber hinaus ist der wertvollste Beitrag, den wir leisten können, unser industrieller Input. Wir wissen, wie man Raumfahrtsysteme baut. Wenn die Aktivitäten des Konsortiums zu einem konkreten Missionsszenario führen, können wir Missionsanalysen und Kostenschätzungen beisteuern.
Im vergangenen Jahr haben Sie nicht nur die Aktivitäten des Konsortiums koordiniert, sondern auch vielen verschiedenen Menschen das Thema Geoengineering erklärt. Was für Reaktionen haben Sie erhalten?
Die meisten Leute, mit denen ich gesprochen habe, fanden das Konzept von Geoengineering faszinierend. Das heißt aber nicht, dass alle Menschen, mit denen ich gesprochen habe, die Idee gut fanden. Einige waren sehr skeptisch – vor allem gegenüber dem raumfahrtbasierten Konzept. Andere wiederum waren erleichtert zu hören, dass es diese Ideen gibt und dass es Menschen gibt, die sich damit beschäftigen. Man könnte sagen, dass ich die ganze Bandbreite an Reaktionen erlebt habe, die man im Vorfeld erwarten konnte. Um ehrlich zu sein, denke ich, dass die Zahl derer, die skeptisch reagiert haben, relativ gering war.
Die meisten Leute, mit denen ich gesprochen habe, fanden das Konzept von Geoengineering faszinierend.
Ein Zeichen von Höflichkeit?
Mag sein. Aber ich denke, dass sie eher bereit waren, mit mir zu reden, weil ich selbst auch versuche, aufgeschlossen und unvoreingenommen an das Thema heranzugehen.
Gab es denn auch Menschen, die überhaupt nicht über das Thema sprechen wollten?
Es gibt einige Unternehmen, die sich mit der Unschädlichmachung von Kohlenstoffdioxid beschäftigen und nicht mit Geoengineering in Verbindung gebracht werden wollen. Das finde ich interessant, weil die Entfernung von Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre im Allgemeinen als eine der beiden grundlegenden Kategorien von Geoengineering betrachtet wird. Aber in gewisser Weise fand ich ihre Reaktion auch verständlich, denn was diese Unternehmen tun, ist bereits sehr konkret. Sie bauen bereits Maschinen, die Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen. Sie haben also ihre Prototypen bereits in Betrieb, während wir uns mit unserem raumfahrtbasierten Konzept noch in einer sehr frühen Phase befinden und noch kein realisierbares Missionsszenario identifiziert haben. Ich verstehe also, warum diese Unternehmen nicht damit in Verbindung gebracht werden wollen.