Herr Dr. Moser, wie sind Sie persönlich zur Raumfahrt-Technologie gekommen?
Ich war schon immer von der Raumfahrt, dem Mond und den Sternen fasziniert – und von der Technik. Ich habe ein technisches Gymnasium besucht, und nach dem Abschluss machte ich zunächst eine Berufsorientierung in einem handwerklich-technischen Betrieb. Als es dann darum ging, ein Studienfach zu wählen, entdeckte ich den Studiengang Luft- und Raumfahrttechnik in Stuttgart und begann dort mit dem Studium.
Während des Studiums absolvierte ich ein Praxissemester beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR in Lampoldshausen. Es ging um die Entwicklung von Raketentriebwerken, und ich durfte meine praktischen Fähigkeiten anwenden. Das begeisterte mich und gab den Ausschlag, mich im Hauptstudium auf Verbrennungstechnik und vor allem auf die Raumfahrt zu spezialisieren. Als es dann an die Diplomarbeit ging, war für mich klar, dass ich das in der Industrie machen will.
Was gab für Sie damals den Ausschlag für OHB?
Auf einer Luftfahrtmesse in Paris stieß ich auf OHB und sein Tochterunternehmen LuxSpace in Luxemburg, das Kleinsatelliten entwickelt. Ursprünglich wollte ich im Bereich Raketentechnik bleiben.
Doch ich dachte: Wenn ich die Wahl habe, einen einzelnen Baugang bei einer großen Rakete auszulegen oder einen ganzen Satelliten zu bauen – dann entscheide ich mich für den Satelliten.
Für meine Diplomarbeit kam ich im Jahr 2008 zu LuxSpace. Damals waren wir etwa 20 Mitarbeiter, also eine sehr kleine Firma. Untergebracht waren wir in Containern auf dem Gelände einer der größten Betreiber von Telekommunikationssatelliten.
Nach der Diplomarbeit blieb ich bei LuxSpace und durfte an einem Experiment für die Internationale Raumstation ISS mitarbeiten. In der Regel arbeitet man in der klassischen Raumfahrt zunächst an kleinen Stücken, dann an unbemannten Flugkörpern, bis man schließlich zur Königsdisziplin kommt: der bemannten Raumfahrt. Bei mir war es umgekehrt und ich hatte das Glück, in dieser kleinen Firma relativ schnell in die Praxis zu kommen und spannende Sachen zu machen.
Was ist das Besondere an LuxSpace?
LuxSpace war eine kleine Firma, die sich zum Ziel gesetzt hatte, Dinge schnell umzusetzen – anders als große Raumfahrtprojekte gewöhnlich abliefern. Das wird heute „New Space“ genannt, aber es war bei LuxSpace damals schon so, dass man Projekte relativ schnell verwirklichte und keine lähmende Bürokratie berücksichtigen musste. So eine Arbeitsweise hat natürlich eigene Herausforderungen: Als ich anfing, waren unsere Büros, Werkstätten und Labore in Containern untergebracht. Ich hatte kein Telefon, keinen Computer, keine Visitenkarten und musste mein Druckerpapier selbst besorgen.
Es war schon so eine Art Garagen-Feeling. Diese Aufbruchstimmung war genau das, was ich gesucht hatte.
So liefen auch die nächsten drei Jahre, die ich bei LuxSpace verbrachte. In diesen Jahren starteten wir mit der Entwicklung und dem Bau der zwei VesselSats, der ersten in Luxemburg gebauten Satelliten. Sie wurden von Orbcomm für die maritime Überwachung und Sicherheit eingesetzt, indem sie das Automatic Identification System (AIS) der Schiffe nutzten. Das war die Krönung unserer Gruppenarbeit aus den Containern, bei der unser damals kleines Team sämtliche Arbeitsschritte selbst ausführte.
Was bedeuten New-Space-Methoden für die Zusammenarbeit mit Projektpartnern?
Nach den beiden Vesselsat-Projekten begann LuxSpace ein sehr großes Projekt mit der Europäischen Weltraumagentur ESA. Es war ein Lernprozess auf beiden Seiten. Für ESA war es das erste Mal, dass sie kostengünstige Mikrosatelliten zusammen mit der Industrie entwickelten. ESA war für Programme wie die ISS und das Space Shuttle an sehr strikte Abläufe gewöhnt, die sich über Jahrzehnte entwickelt haben. Mit unserem vergleichsweise kleinen Entwicklungsbudget und unseren Kosten für Satelliten, sind wir da in einer ganz anderen Größenordnung. Deshalb ist es schon aus Kostengründen erforderlich, ganz andere Prozesse anzuwenden.
Im neuen Programm Triton-X gehen wir in der Zusammenarbeit noch einen Schritt weiter – wir reduzieren den bürokratischen Aufwand und ersetzen diesen durch größere Transparenz.
Wir gewähren ESA-Mitarbeitern einen exklusiven Einblick in unseren täglichen Arbeitsablauf, in sämtliche Tools und in unsere Berechnungen – und das in Echtzeit. Dadurch überzeugen wir den Projektpartner, dass das was wir machen, Hand und Fuß hat: Er kann sich einfach jederzeit selbst davon überzeugen.
Die neue Plattform Triton-X zielt ab auf Anwendungen, die einen schnellen Marktzugang und günstige Verfügbarkeit gewährleisten - und sie können in Serie gefertigt werden. Denkbare Anwendungen sind besonders Satelliten-Kommunikation oder Erdbeobachtung.
Was unterscheidet New Space von der bisherigen Raumfahrt?
Bei „Old Space” versucht man, mit einem extrem hohen Aufwand Fehlschläge zu vermeiden: „Failure is not an option“. Ich glaube die grundlegende Annahme bei New Space ist, von diesem Mantra wegzukommen. Es geht darum, das Restrisiko exakt einzuschätzen und durch entsprechende Maßnahmen zu managen.
Was bedeutet das konkret?
Daraus ergibt sich zum Beispiel, schneller zu testen, auch mal einen Satelliten hochzuschießen, bei dem nicht 100-prozentig sicher ist, dass jeder mögliche Fehlerfall durchgespielt wurde. Stattdessen gehört es dazu, auch mal zu sagen: „Wenn der Satellit ein Problem hat, haben wir unten immer noch einen Reset-Button und können ihn neu starten.“
So wie bei einem Computer, wenn nichts mehr geht?
Genau. Außerdem gehört es dazu, bereits bei der Planung zu berücksichtigen, dass Fehler auftreten könnten. Wenn man diese Möglichkeit zulässt, arbeitet man mit einer anderen Grundannahme auch für den ungünstigsten Fall, dass ein Satellit defekt ist. Wir planen von Beginn an so, dass ein Satellit sogar ganz ausfallen kann - und das System trotzdem noch funktioniert.
Können Sie das an einem New-Space-Projekt erläutern? Etwa an Triton-X, bei dem Sie Projektleiter sind?
Im Projekt Triton-X realisieren wir eine neue multifunktionale Plattform für Mikrosatelliten. Sie ist konzipiert für kommerzielle Anwendungen, bei denen das Budget und die Zeit bis zur Markteinführung entscheidend sind. Anwendungen sind beispielsweise Kommunikation oder Erdbeobachtung.
Was ist der Nutzen von Mikrosatelliten?
Der mögliche Mehrwert liegt etwa in einer Verbesserung von Navigationssystemen, genaueren Wettervorhersagen oder aktuelleren Satellitenbildern der Erde. Dort sind mittlerweile auch Kleinstsatelliten auf dem Vorschmarsch, weil sie vergleichsweise günstig sind. Man bekommt für das gleiche Geld mehr Satelliten, die dann im Orbit verteilt werden können und dadurch ein aktuelleres Bild von der Erde erzeugen.
Sie bauen Satelliten, aber kümmern Sie sich auch um die Daten und Services?
Typisch für New Space ist die Verwendung der Satellitendaten für Anwendungen und Services. Für viele Start-Ups im New-Space-Bereich sind Satelliten die notwendige Technologie, aber ihnen geht es letztendlich um die Daten. LuxSpace hat ursprünglich mit Daten angefangen und ist dann erst im übernächsten Schritt zum Satellitenbauer geworden. Heute machen wir bei LuxSpace beides: Wir bauen Satelliten, und wir analysieren und vermarkten Daten – sogenannte Datastreams, hauptsächlich aus dem maritimen Bereich und in der Erdbeobachtung. Ein Datastream kann auch beispielsweise die erwartete Ankunftszeit eines Containerschiffs sein. Übrigens interessiert es Kunden dabei nicht, ob die Information von bodengestützten Maschinen kommt oder aus der Raumfahrt. Sie haben ein Interesse an guten Daten.
Kann bald jeder eigene Satelliten ins All schicken?
(Lacht) Diese Frage höre ich sehr oft. Und es ist ja auch eine tolle Vorstellung: Ich habe meinen eigenen Satelliten, der mich mit Fernsehen, Internet und Endlostelefonie versorgt. Leider ist meine Antwort dann „Nein“. Denn das funktioniert natürlich nicht.
Warum bleibt das ein Wunschtraum?
Es beginnt damit, den Satelliten auf eine Rakete zu bringen. Wer übernimmt die Verantwortung, wenn die Rakete am Start ist? Falls es Probleme gibt – wer ist dafür verantwortlich? Bis jetzt ist das durch Staatsverträge geregelt.
Dazu kommt die Müllproblematik, die inzwischen in der Raumfahrt mehr und mehr Bedeutung bekommt. Dafür gibt es bisher kein internationales Recht wie das Seerecht, das etwa Verschmutzungen in internationalen Gewässern regelt.
Das wird sich in Zukunft sicherlich ändern. Völlig neue und unerwartete Gesetze werden nötig, wie beispielsweise ein Gesetzesrahmen, um Schürfrechte an interplanetaren Körpern wie Asteroiden zu regeln.
Es bleibt also spannend. Wohin entwickelt sich LuxSpace?
Wir versuchen, den Pioniergeist zu erhalten. Das finde ich sehr wichtig. Deshalb ist eines meiner Hauptanliegen, junge Menschen möglichst früh für unsere Arbeit zu begeistern: Schüler, Bachelor- und Master-Studenten. Am besten geht das mit Hands-On-Angeboten. Mit 3D-Printing kann man eigene Designs schnell im Wortsinn fassbar machen. Das ist etwas, was ich von LuxSpace gut kenne. So kann man innerhalb kurzer Zeit, in vielleicht einem halben oder ein bis zwei Jahren, einen Satelliten entwerfen, Entwicklungstests durchführen und analysieren, den Satelliten zusammenbauen und zum Schluss auf eine Rakete schrauben.
So erleben Berufseinsteiger den vollen Lebenszyklus eines Satelliten in sehr kurzer Zeit mit. Das ist bei anderen Unternehmen in dieser Form nicht immer möglich, glaube ich. Es bedeutet natürlich auch viel Verantwortung, deshalb sind Faszination und ein sehr starkes Interesse an der Raumfahrt die Voraussetzung.