Herr Hamann, wie kommt OHB – ein Raumfahrtunternehmen – dazu, Studien zum Thema Geoengineering durchzuführen?
Tomas Hamann: Im Februar 2019 gab es ein hausinternes Innovationsforum. Dabei konnten Mitarbeiter aus den verschiedensten Abteilungen ihre Ideen auf den Tisch bringen und diskutieren. Die Idee meiner Gruppe war, als Reaktion auf die zunehmende Bedrohung durch den Klimawandel ein Raumfahrzeug zu entwickeln, das im Lagrange-Punkt 1 zwischen Sonne und Erde platziert werden kann und dort die Funktion eines Sonnenschirms erfüllt. Diese Idee wurde sehr positiv aufgenommen und schließlich auch zum Gewinner gekürt. Wir haben dann Finanzierung für 100 Arbeitsstunden erhalten, um die Idee weiter auszuarbeiten.
Wie sah diese weitere Ausarbeitung der Idee aus?
Im Prinzip haben wir eine klassische Literaturstudie durchgeführt. Wir haben alles an wissenschaftlichen Arbeiten gelesen, was wir zu dem Thema finden konnten. Daraus haben wir dann ein etwas detaillierteres Missionskonzept erstellt. Allerdings ist uns auch schnell klargeworden, dass es neben Sonnenschilden noch viele weitere potenzielle Möglichkeiten gibt, das Klima auf der Erde gezielt zu beeinflussen.
Und dann?
Am Ende unserer 100 Arbeitsstunden haben wir unsere Ergebnisse Marco Fuchs, dem Vorstandsvorsitzenden von OHB, präsentiert. Er war sehr an dem Thema interessiert. Vor allem daran, möglicherweise einen Plan B für den Umgang mit dem Klimawandel zu finden. Langfristig müssen natürlich die Treibhausgasemissionen reduziert werden, aber was, wenn der Klimawandel uns dafür zu wenig Zeit gibt? Möglicherweise können durch Geoengineering katastrophale Schäden an unserem Planeten verhindert werden. Nachdem wir unsere erste Studie beendet haben, haben wir deshalb noch einmal 800 weitere Arbeitsstunden erhalten, um unsere raumfahrtbasierte Idee mit anderen Geoengineeringkonzepten zu vergleichen und unser eigenes Konzept noch weiter zu vertiefen.
Langfristig müssen natürlich die Treibhausgasemissionen reduziert werden, aber was, wenn der Klimawandel uns dafür zu wenig Zeit gibt?
Mit welchem Ziel?
Hinter der Untersuchung steht bisher noch keine konkrete Geschäftsidee. Es geht vielmehr darum, überhaupt herauszufinden, welchen Beitrag die Raumfahrt im Kampf gegen den Klimawandel leisten kann. Natürlich liefern Satelliten bereits wichtige Daten über das Klima und seine Veränderungen, aber vielleicht kann Raumfahrttechnologie auch gezielt dazu genutzt werden, die Folgen des Klimawandels abzuschwächen, bis die Menschheit Wege gefunden hat, ihren Energiebedarf auch ohne fossile Brennstoffe zu decken.
Welche anderen Konzepte gibt es denn zum Thema Geoengineering?
Da gibt es unzählige Ideen. Wir haben uns allerdings aus praktischen Gründen dafür entschieden, uns auf die fünf am besten untersuchten Konzepte zu konzentrieren. Wir haben uns für diese Konzepte entschieden, weil sie am meisten diskutiert werden, auch deshalb weil sie relativ gut umsetzbar scheinen. Die Ansätze der verschiedenen Konzepte sind dabei ganz unterschiedlich. Zum Beispiel gibt es die Idee, Aerosole in der Stratosphäre auszubringen, damit weniger Sonnenlicht den Erdboden erreicht. Andere Autoren beschäftigen sich hingegen mit der Frage, ob sich das Rückstrahlvermögen der Erdoberfläche großflächig verändern lässt, damit mehr Sonnenlicht zurück in den Weltraum abgestrahlt wird. In weiterem Sinne mit diesem Ansatz verwandt ist auch die Idee, mit Meerwasser künstliche und stärker reflektierende Wolken zu erzeugen. Diese Methoden haben jedoch gemeinsam, dass sie an der grundlegenden Problematik nichts verändern, die Menge an Treibhausgasen in der Atmosphäre bleibt unverändert. Das bedeutet, dass nur der Symptomatik, nicht aber den Ursachen des Klimawandels entgegengewirkt wird. Diesen Haken hat auch unser raumfahrtbasierter Ansatz. Anders verhält sich das bei Methoden, durch die aktiv Treibhausgase aus der Atmosphäre entfernt werden soll. Zu diesen zählen die Abscheidung und Speicherung bestimmter Treibhausgase durch technische Anlagen, aber auch weniger technische Lösungen. Große Mengen an Bäumen zu pflanzen, um CO2 aufzunehmen, ist einer dieser Vorschläge. Wichtig ist dabei, dass das Kohlenstoffdioxid nicht nur aus der Atmosphäre entfernt, sondern auch für lange Zeit aus dem Kohlenstoffkreislauf entnommen wird.
Wie könnte das in der Praxis aussehen?
Im Fall der Aufforstung und Wiederbewaldung bedeutet das, dass regelmäßig Bäume geerntet werden müssen und dass das Holz nicht verbrannt werden darf. Auch darf es nicht verrotten. Ideal wäre deshalb eine Lagerung fernab von Witterungseinflüssen. Ähnlich verhält es sich auch bei der technischen Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoffdioxid: Um einen positiven Effekt zu erzielen, muss das abgeschiedene CO2 für lange Zeit von der Atmosphäre ferngehalten werden. Bisherige Konzepte sehen eine Speicherung im Untergrund vor, zum Beispiel in ehemaligen Erdöllagerstätten – wo das CO2 letztendlich ja schon für Jahrmillionen in Form von Erdgas, Erdöl und Kohle gespeichert war.
Kann Geoengineering eine Lösung für die Klimakrise sein?
Nein, in erster Linie müssen wir Alternativen für fossile Energieträger finden – und zwar besser heute als morgen. Ich persönlich würde es sehr begrüßen, wenn der Klimawandel durch Reduktion der Treibhausgasemissionen angegangen wird und Geoengineering gar nicht notwendig wird. Geoengineering sollte wirklich nur im Notfall genutzt werden, um Zeit zu gewinnen, da es immer auch Nebenwirkungen gibt, die wir noch längst nicht alle verstanden haben. Außerdem ist es besser, die Ursache der Krise anzugehen und nicht nur gegen die Nebeneffekte zu kämpfen. Wir müssen uns bewusst machen, dass der Mensch bereits seit Jahrtausenden die Erde an seine Bedürfnisse anpasst. In der Natur leben wir schon lange nicht mehr. Es ist unsere moderne Lebensweise, die das Klima verändert. Geoengineering möchte das Klima in die richtige Richtung verändern, ist aber keine perfekte nachhaltige Lösung.
Wir müssen uns bewusst machen, dass der Mensch bereits seit Jahrtausenden die Erde an seine Bedürfnisse anpasst. In der Natur leben wir schon lange nicht mehr. Es ist unsere moderne Lebensweise, die das Klima verändert.
Soll das Thema Geoengineering bei OHB weiter verfolgt werden?
Am 3. Dezember haben wir einen Workshop durchgeführt, bei dem wir unsere Ergebnisse Wissenschaftlern mit Forschungsschwerpunkten in den Bereichen Umweltphysik und Klimatologie vorgestellt haben. Daraus hat sich eine fruchtbare Diskussion entwickelt. Wir planen, unsere Untersuchung dadurch zu erweitern, dass wir auch mit weiteren Wissenschaftlern zusammenarbeiten, die sich zum Beispiel mit Atmosphärenphysik, Ingenieurwissenschaften und Ethik beschäftigen. Gerade entsteht ein Konsortium aus sieben verschiedenen Organisationen aus fünf verschiedenen Ländern. Ebenso wichtig ist aber auch der Austausch mit der breiten Öffentlichkeit. Mittlerweile gibt es ein Bewusstsein für die Bedrohung durch den Klimawandel, aber Geoengineering ist ein Thema, mit dem viele Menschen gar nichts anfangen können. Es gibt auch viele Vorurteile. Die Menschen wissen nicht, dass wir bereits seit Jahrtausenden Geoengineering betreiben. Aus diesem Grund wollen wir eine offene Diskussion fördern und suchen den Austausch mit möglichst vielen Menschen.
Und was ist mit dem Sonnenschirm zwischen Erde und Sonne? Soll auch daran weitergearbeitet werden?
Wir haben für 2021 1.800 weitere Arbeitsstunden finanziert bekommen. Diese wollen wir natürlich nutzen, um unser Missionskonzept weiter auszuarbeiten. Darüber hinaus wollen wir uns aber auch Gedanken dazu machen, wie Expertise aus der Raumfahrtbranche bei der Umsetzung von erdgebundenen Geoengineeringprojekten genutzt werden kann. Es wäre zum Beispiel denkbar, dass OHB sich mit Wissen aus den Bereichen Systems Engineering und Simulation oder auch im Projektmanagement einbringt. Geoengineering muss im großen Maßstab stattfinden, was die Koordination der einzelnen Arbeitsschritte und logistischen Abläufe hochgradig komplex macht. Bei großen Raumfahrtprojekten sieht das allerdings nicht großartig anders aus und OHB hat viel Erfahrung darin, diese Mammutaufgabe zu lösen. Das ist allerdings nur eins der möglichen Szenarien. Wir wollen in alle Richtungen denken. Bei der Bekämpfung des Klimawandels geht es nicht darum, Lobbyarbeit für die eigene Branche zu betreiben. Eine derartige Herausforderung kann nur durch Zusammenarbeit bewältigt werden.