Wer Satellitenhardware aus der Nähe sehen will, muss passend gekleidet sein. Schlips und Kragen können dabei aber getrost im Schrank bleiben, stattdessen kommen Haarnetz, Kittel und Schuhüberzieher zum Einsatz. Der Grund dafür: Satelliten werden nicht einfach irgendwo in einer Produktionshalle, sondern im Reinraum gefertigt. Warum ist das so? Was befindet sich in normalen Räumen, dass die Satellitenhardware beschädigen kann? Und wie sauber kann man einen Raum überhaupt bekommen?
Auf der Erde gibt es keine völlig staubfreien Räume
Staub ist auf der Erde allgegenwärtig. Sogar so allgegenwärtig, dass es keine komplett staubfreien Umgebungen gibt. Und Staub ist nicht gleich Staub. Es gibt eine unüberschaubar große Menge an natürlichen und menschengemachten Staubquellen. Schon gewöhnlicher Hausstaub setzt sich aus Partikeln unterschiedlichsten Ursprungs zusammen. Die Spanne reicht dabei von menschlichen und tierischen Hautschuppen und Haaren über Pollen und andere Pflanzenteile bis hin zu Straßenabrieb und kosmischem Staub.
Die größte Staubquelle ist der Mensch
Bis zu 600.000 winzige Hautschuppen fallen jede Stunde vom menschlichen Körper ab und auch gesunde Menschen verlieren jeden Tag durchschnittlich 70 bis 100 Haare.
In einem normalen Raum bilden sich am Tag durchschnittlich sechs Milligramm Staub pro Quadratmeter
Das Gefühl, dass schon einen Tag nachdem man geputzt hat, alles wieder eingestaubt ist, kommt nicht von ungefähr. Es ist tatsächlich so, dass sich an jedem einzelnen Tag eine sichtbare Menge neuer Staub bildet. Der Mensch verliert nicht nur Haare und Hautschuppen, sondern sammelt unter anderem mit den Schuhsohlen auch unbewusst Partikel aus der Umgebung auf. Zudem entsteht schon durch alltägliche Benutzung Abrieb an Kleidungsstücken, Polstermöbeln und Teppichen, der sich in Form von feinen Textilfasern im wahrsten Sinne des Wortes im Hausstaub niederschlägt. Wer regelmäßig lüftet, lässt nicht nur frische Luft herein, sondern auch darin suspendierte Pollen, Rußpartikel und Gesteinskörnchen.
Staub verringert die Zuverlässigkeit von Satelliten
Im Weltall können Satelliten nicht mehr gewartet werden. Verunreinigungen der Satellitenstruktur erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass während der geplanten Lebensdauer im All Funktionsstörungen auftreten. Bereits einzelne Staubpartikel können einen Schaltkreis unterbrechen oder zu Kurzschlüssen führen. Zudem ist auch die Mechanik von Satelliten empfindlich gegenüber Verschmutzungen, da beim Einsatz im Weltall keine konventionellen Schmierstoffe zum Einsatz kommen können. Bei Nutzlasten kann ein unglücklich auf einem Spiegel oder Sensor haftender Fremdkörper gesamte Instrumente unbrauchbar machen. Um das nach Möglichkeit zu vermeiden, werden Satelliten im Reinraum gefertigt.
Es gibt verschiedene genormte Güteklassen von Reinräumen
Sowie Staub nicht gleich Staub ist, ist Reinraum nicht gleich Reinraum. Für unterschiedliche Anforderungen existieren auch unterschiedliche Reinräume. Die Klassifizierung von Reinräumen wird anhand der Luftreinheit vorgenommen. Als Maß dient dabei die Anzahl der Partikel pro Kubikmeter Luft.
Der reinste Raum der Welt ist zehnmal sauberer als ein ISO-1-Reinraum
Der reinste Reinraum der Welt wird nicht von einem Raumfahrtunternehmen, sondern vom Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart betrieben. In diesem Raum enthält ein Kubikmeter Luft nur noch maximal ein einziges Staubteilchen von höchstens 0,1 Mikrometern Größe. Damit ist die Luft noch zehnmal reiner als in einem Reinraum der Klasse ISO 1. Genutzt wird der Raum in erster Linie dazu, um Geräte und Anlagen zu prüfen, die in einer ISO-1-Umgebung zum Einsatz kommen sollen. Derart sterile Bedingungen werden vor allem in der Halbleiterfertigung und bei der Herstellung von Medizinprodukten benötigt.
Die Umgebungsbedingungen in Reinräumen werden möglichst konstant gehalten
Um den unkontrollierten Eintrag von Partikeln zu vermeiden, stehen Reinräume nur im absolut notwendigen Maß in Kontakt mit der Außenwelt. Druck, Temperatur und Luftfeuchtigkeit werden jahreszeitenunabhängig konstant gehalten, um immer gleiche Umgebungsbedingungen zu gewährleisten. Der Luftaustausch wird über eine spezielle Lüftungs- und Filteranlage geregelt. Personen und Material können nur über eine Schleuse in den Reinraum gelangen.
30 bis 40 Prozent aller Kontaminationen in Reinräumen gehen unmittelbar vom Menschen aus
Da über ein Drittel der in Reinräumen auftretenden Kontaminationen vom Menschen ausgeht, dürfen Reinräume nur in spezieller Kleidung betreten werden, die in erster Linie als Filter zwischen der Körperoberfläche des Menschen und der Reinraumumgebung dient.
Um zu vermeiden, dass die Reinraumbekleidung selbst zur Partikelquelle wird, besteht diese zumeist aus abriebfesten synthetischen Fasern, zum Beispiel Polyester. Da synthetische Gewebe allerdings dazu neigen, sich elektrostatisch aufzuladen, muss Reinraumbekleidung mit einer speziellen antistatischen Ausrüstung versehen werden. Dies dient nicht nur dazu, dem Träger der Kleidung schmerzhafte Stromschläge zu ersparen, sondern auch dem Schutz der im Reinraum gefertigten Produkte, die durch unkontrollierte Entladungen beschädigt werden kann. Um bei Mehrwegbekleidung den Schutz vor statischer Aufladung über den gesamten Lebenszyklus des Kleidungsstücks aufrechtzuerhalten, müssen bei der Dekontamination spezielle Pflegeverfahren eingesetzt werden.
In Reinräumen müssen spezielle Arbeitsmaterialien eingesetzt werden
Nicht nur die Kleidung, sondern auch die Arbeitsmaterialien, die in Reinräumen eingesetzt werden, müssen besondere Anforderungen erfüllen. Reinraumpapier besitzt deshalb eine spezielle partikelarme Oberfläche und Reinraumkugelschreiber werden mit besonders dichten Hülsen und schmierfreier Tinte gefertigt, um die von diesen Utensilien ausgehenden Kontaminationen so gering wie möglich zu halten. Zudem dürfen auch der Boden und der Anstrich der Wände nach Möglichkeit keine Partikel in die Reinraumumgebung abgeben. Aus diesem Grund bestehen Reinraumböden zumeist aus Kunstharz, das fugenfrei gegossen wird, um eine einfache Reinigung zu gewährleisten. In Reinräumen eingesetzte Möbel besitzen neben abriebfesten Oberflächen ein Design, das Partikelablagerungen verbeugt und zudem vor elektrostatischer Aufladung schützt.
Reinräume bei OHB
OHB betreibt Reinräume der Klassen ISO 8 und ISO 5. Für die Fertigung von Satellitenplattformen ist ein Reinraum der Klasse ISO 8 in den meisten Fällen ausreichend, während Nutzlasten in der Regel eine ISO-5-Umgebung benötigen.