Die Internationale Weltraumstation immer im Blick: Wenn Dr. Marco Berg, Leiter der Abteilung Astronautische Raumfahrt und Exploration bei OHB, an seinem Schreibtisch sitzt, blickt er auf ein detailgetreues Modell der ISS. „Es stand lange Zeit in der Integrationshalle. Als es einen neuen Platz brauchte, habe ich es zu mir geholt.“ Kein Wunder, Marco Berg ist mit der Raumstation seit Jahren eng verbunden. Seine Abteilung entwickelt und unterstützt eine Reihe von Experimenten und Modulen für die Forschung im All – auch während des Einsatzes des deutschen ESA-Astronauten Matthias Maurer.
Herr Berg, nach rund sechs Monaten auf der ISS ist Matthias Maurer wieder auf der Erde gelandet. Wie haben Sie seinen Aufenthalt im All begleitet?
Erst einmal freue ich mich, dass Matthias Maurer gesund auf der Erde gelandet ist, und wir alle hier sind stolz und glücklich, dass die Experimente, an denen wir beteiligt waren, so gut und erfolgreich gelaufen sind. Unterstützt haben wir Matthias Maurer im Auftrag des DLR beim Fitnesstraining mit einem EMS-Anzug. Die Abkürzung EMS steht für Elektro-Muskel-Stimulation. Mit dieser sogenannten „EasyMotion Skin“ trainieren auch Sportler auf der Erde. Für den Einsatz in der Schwerelosigkeit mussten wir die Technik aber natürlich anpassen und entsprechend qualifizieren.
Was genau war da nötig?
Das Trainingssystem und die dazugehörige App wurden von der EMS GmbH aus Leipzig entwickelt, die in diesem Projekt als Unterauftragnehmer von OHB tätig war. Die wissenschaftliche Leitung hat das Zentrum für Weltraummedizin an der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Unsere Aufgabe war es, den Anzug für den Weltraum fit zu machen. So wurde zum Beispiel die Steuerungseinheit, die Position von einigen Steckern und Funktionen umgebaut und natürlich eine weltraumtaugliche Batterie eingebaut.
Wie ist das Training im All gelaufen und warum ist es überhaupt wichtig?
In der Schwerelosigkeit bauen sich die Muskeln sehr schnell ab. Astronauten müssen etwa zweieinhalb Stunden pro Tag trainieren, damit sie keinen Muskelschwund erleiden. Während des Einsatzes von Matthias Maurer sollte herausgefunden werden, ob durch die Elektro-Muskel-Stimulation die täglichen Trainingszeiten verkürzt werden können. Auf dem Plan standen insgesamt 36 Trainingseinheiten von jeweils 20 Minuten im EMS-Anzug. Trainiert wurde immer montags, mittwochs und freitags. Nach den ersten 18 Einsätzen gab es eine längere Pause bis zum zweiten Trainingsblock. Ich habe mich sehr gefreut zu hören, dass Matthias Maurer den Anzug nicht nur während des Experimentes angezogen hat, sondern auch noch in seiner Freizeit auf der ISS in ,unserem‘ Anzug Sport gemacht hat.
Wie wurde der Erfolg des Trainings gemessen?
Hier kam tatsächlich ein Gerät zum Einsatz, das wir bereits für die Mission des deutschen ESA-Astronauten Alexander Gerst im Jahr 2018 qualifiziert haben. Es heißt „MyotonPRO“ und misst den Zustand der Muskeln, wie steif oder wie elastisch sie sind, also welche Spannung sie haben. Erste Daten zeigen, dass die EMS-Trainingsmethode einen positiven Effekt auf die Muskeln hat. Wir sind aber natürlich gespannt auf die finale Auswertung der Daten und hoffen, dass der EMS-Anzug bei weiteren ISS Astronauten oder sogar bei Missionen außerhalb des nahen Erdorbits zum Einsatz kommt.
An welchen Experimenten war OHB während des Einsatzes von Matthias Maurer noch beteiligt?
Wir haben einen Bioprinter qualifiziert, mit dem körperidentische ,Hautpflaster‘ erstellt werden können. Dieses Gerät wurde nun erstmals mit simulierten menschlichen Hautzellen unter Weltraumbedingungen erfolgreich getestet, allerdings noch nicht direkt am menschlichen Körper. Darüber hinaus kam noch unser Spurengasüberwachungssystem ANITA-2, das von den OHB Kollegen in Oberpfaffenhofen im Auftrag der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) entwickelt wurde, zum Einsatz. Es führt an Bord der ISS alle sechs Minuten hochpräzise Messungen der Gasatmosphäre durch und kann dabei mehr als 35 Gase mit extrem hoher Genauigkeit erkennen. Das Gerät funktioniert gut, es hat bereits etwas ,erschnüffelt‘ und entsprechend angezeigt.
Herr Berg, das waren nun die aktuellen Experimente und während wir hier reden rast die ISS mit etwa 28.000 Stundenkilometern rund 400 Kilometer über uns um die Erde. Sie sind seit dem Start mit der Weltraumstation verbunden – erzählen Sie doch mal.
Ja, die astronautische Raumfahrt ist ein fester Bestandteil unserer Firmenidentität und darauf sind wir unglaublich stolz. Wir haben zum Beispiel für die Europäische Raumfahrtagentur ESA das erste Forschungsrack, das im Columbus Modul an Bord der ISS in Betrieb genommen wurde, entwickelt – das „European Physiology Module“ oder kurz EPM. In diesem medizinischen Forschungslabor wird unter anderem untersucht, wie sich die Schwerelosigkeit auf den menschlichen Organismus auswirkt. Die Forschungsanlage setzt sich aus mehreren Modulen zusammen, mit denen die Astronauten verschiedene human-physiologische Untersuchungen durchführen können. Bei wichtigen EPM-Aktivitäten laufen die Daten hier im Büro nebenan ein, da wir noch immer mit der technischen Betreuung beauftragt sind. Darüber hinaus haben wir aber bereits viele neue Experimente auf unserer Agenda, die wir mit unserer langjährigen Expertise entwickeln und umsetzen werden – immer mit dem Ziel, die Raumfahrt zu unterstützen, unser aller Wissen zu erweitern und natürlich auch stets neue Erkenntnisse für unser Leben auf der Erde zu gewinnen.