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Eine Kolumne von Marco Fuchs: Gedanken über Zeit und Raum

„Weltraumschrott darf nicht zum Werkzeug für einen neuen Kalten Krieg im All werden“

9. Dezember 2021. Die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hat mit der Wahl von Olaf Scholz zum Bundeskanzler die Arbeit für die nächsten vier Jahre offiziell begonnen. Die Kernpunkte der Zusammenarbeit sind auf 177 Seiten im Koalitionsvertrag zusammengefasst. Und ich bin sehr froh, dass sich die Ampelkoalition darin auch deutlich zur Raumfahrt bekennt. Raumfahrt und New Space seien „zentrale Zukunftstechnologien“, heißt es dort. Und es soll eine neue deutsche Raumfahrtstrategie entwickelt werden, was ich natürlich auch sehr begrüße. Für die Branche wird auch in der neuen Koalition weiterhin das Bundeswirtschaftsministerium zuständig sein, nun allerdings unter Führung von Robert Habeck von den Grünen. Dadurch wird für die Raumfahrtindustrie auch das Thema Nachhaltigkeit eine deutlich größere Rolle spielen, etwa in der Rolle der Raumfahrt beim Klimaschutz oder bei der wichtigen Aufgabe, zusätzlichen Schrott im All zu vermeiden – sei es durch stärkere Investitionen in die Entwicklung wiederverwendbarer Raketen oder durch Technologien, mit denen es gelingt, den sogenannten Space Debris zu beseitigen oder gar nicht erst zu produzieren.

Weltraumschrott wird zunehmend zum Problem

Der Schrott im All ist ein immer größeres Problem, weil er für die Raumfahrtinfrastruktur in den verschiedenen Orbits zunehmend zur Gefahr wird. Insgesamt kreisen inzwischen unfassbare 8.500 Tonnen Schrott um die Erde, Satelliten müssen zum Teil tägliche Ausweichmanöver fliegen oder werden von winzigen Teilen getroffen, die vom Radar nicht mehr erkannt werden können. Und in den nächsten Jahren wird die Zahl der Satelliten vor allem im niedrigen Erdorbit durch sogenannte Konstellationen, also Schwärmen von tausenden Satelliten, weiter zunehmen. Ich halte es deshalb für eine gute Idee, wenn sich die internationale Gemeinschaft über gemeinsame Regeln im All verständigt. Und dazu zählt nicht nur die Frage, wie Space Debris von vorherein vermieden oder minimiert werden kann, sondern auch die Frage nach dem respektvollen und vor allem umsichtigen Umgang miteinander.

Satellitenabschuss als Machtdemonstration

Dass ich von Respekt und Umsichtigkeit im All sprechen muss, hat leider einen wenig erfreulichen Grund. Mitte November hat Russland mit einer sogenannten Anti-Satelliten-Rakete einen ausgedienten Spionagesatelliten abgeschossen und ihn in mehr als 1.500 Trümmerteile zerlegt. Die ergänzen nun die gefährliche Müllkippe, die um die Welt saust. Auch die USA, China und zuletzt Indien hatten demonstriert, dass sie diese Anti-Satellitenwaffen einsetzen können. Dass Russland diese Demonstration der Macht vollzieht, während seine eigenen Kosmonauten in der Raumstation ISS stationiert sind, war für mich eine böse Überraschung. Die ISS-Besatzung hat sich aus Sorge vor einer möglichen Kollision mit Trümmerteilen sogar kurzzeitig in die Notfallkapseln zurückgezogen.

Ich war geschockt über diese Form des Säbelrasselns – die meiner Meinung nach gar nicht nötig gewesen wäre, denn dass Russland Anti-Satellitenwaffen besitzt, ist weithin bekannt. Ich hätte mir gewünscht, dass wir in der internationalen Zusammenarbeit gerade in der Raumfahrt über diese geopolitischen Kraftmeiereien hinweggekommen wären. Schließlich haben inzwischen viele Akteure in der Raumfahrt erkannt, dass der Orbit gemeinsam benutzt werden muss – und weiterer Schrott dort die Aufgaben nur erschwert.

Doch Russland wollte offenbar bewusst die Botschaft in die Welt tragen, dass es Satelliten abschießen kann, und somit auch jeden Satelliten, den es treffen will. Für mich als Unternehmer eines Raumfahrtunternehmens, dessen Kerngeschäft der Bau von Satelliten ist, ist das eine beunruhigende Vorstellung. Und ich habe das Gefühl, dass ein neuer Kalter Krieg im Weltall schon längst wieder im Gang ist. Anders kann ich mir eine solche absichtsvolle Provokation nicht erklären. Die Folge ist, dass das die Infrastruktur im All ernsthaft bedrohen könnte. Dies hätte für das alltägliche Leben auf der Erde ernste Konsequenzen – vor allem für die Logistik, das Finanzsystem, die Energienetze. All diese Kernbereiche der globalen Wirtschaft wären gestört oder gar ausgeschaltet.

Leitlinien und Empfehlungen für den Umgang mit der Infrastruktur im Weltraum notwendig

Es ist deshalb höchste Zeit, dass sich die internationale Gemeinschaft auf Regeln für den Umgang mit der Infrastruktur im Weltraum einigt. Die Europäische Union ist dabei mit gutem Beispiel vorangegangen. Seit Anfang 2021 hat sich ein europäisches Konsortium aus 15 Unternehmen und Institutionen, darunter auch OHB, im Projekt Spaceways zusammengeschlossen. Die Aufgabe des Konsortiums besteht darin, Leitlinien und Empfehlungen zu entwickeln, wie sich die Akteure den Orbit möglichst nachhaltig und vor allem strukturiert teilen können. Die EU spricht von Space Traffic Management, was den Kern des Themas sehr schön umschreibt: am Ende geht es wie in der Straßenverkehrsordnung darum, ein gemeinsames Verständnis von Regeln für den Verkehr im All zu finden. Die Arbeit des Konsortiums soll Mitte 2022 abgeschlossen sein.

Allerdings zeigt der Fall des russischen Satellitenabschusses aber auch, dass ein nur von Europäern geschaffenes Regelwerk nicht reichen wird. Sicher, es ist immer gut, wenn einer Gruppe von Staaten mit gutem Beispiel vorangeht. Allerdings wird für eine ausreichend große Sicherheit eine globale Vereinbarung nötig sein. Ich hoffe sehr, dass sich die verschiedenen Akteure angesichts der vielversprechenden Profite durch künftige Satellitenanwendungen der EU-Initiative anschließen.


Zur Person

Marco Fuchs (Jahrgang 1962) studierte Rechtswissenschaften in Berlin, Hamburg und New York. Von 1992 bis 1995 arbeitete er als Anwalt in New York und Frankfurt am Main. 1995 trat er in das Unternehmen OHB ein, das seine Eltern aufgebaut hatten. Seit dem Jahr 2000 ist er Vorstandsvorsitzender der jetzigen OHB SE und seit 2011 der OHB System AG. Marco Fuchs ist verheiratet und hat zwei Kinder.