In den azurblauen Tiefen der Weltmeere liegt so manches Geheimnis verborgen. Doch auch oberhalb der schillernden Meeresoberfläche finden Versteckspiele statt, die es zu lüften gilt. Die Detektivarbeit für die Weltmeere unterstützt ganz entscheidend eine kleine Raumfahrtfirma im beschaulichen Ort Betzdorf in Luxemburg: LuxSpace, ein Tochterunternehmen des Technologiekonzerns OHB, fertigt Mikrosatelliten, die die von Schiffen versandten AIS-Daten empfangen. Doch nicht jedes Schiff möchte gesehen werden und so gibt es einige, die ihre Positionsnachrichten nicht übertragen, um beispielsweise illegaler Fischerei nachzugehen. Die Europäische Verteidigungsagentur hat nun LuxSpace mit dem vom polnischen und luxemburgischen Verteidigungsministerien finanzierten Forschungs- und Entwicklungsprojekt SIMMO II (System for Intelligent Maritime Monitoring II) beauftragt. In Kooperation mit Wissenschaftlern der Wirtschaftsuniversität in Posen (Polen) soll ein System für die Analyse der Meeresdaten, das auf innovativen Data Science Methoden basiert, entwickelt werden. Gerd Eiden und Miguel Nuevo leiten das Projekt bei LuxSpace und sprechen im Interview über die Herausforderungen der maritimen Überwachung und besondere Detektivleistungen.
Warum ist es so wichtig, AIS-Daten auszuwerten und was können die überhaupt?
Gerd Eiden: Wir empfangen täglich über 230 Millionen AIS-Daten, die von rund 200 000 Schiffen weltweit ausgesendet werden. Die AIS-Daten stammen aber nicht nur von Satelliten unseres Partners Orbcomm, sondern auch von einem weltweiten Netz bestehend aus AIS-Antennen entlang der Küstenlinien und der größeren Häfen. Das ist eine riesige Datenmenge, die wir verarbeiten und maßgeschneidert unseren Kunden zur Verfügung stellen. Es zeigt sich aber, dass es einen wachsenden Bedarf nicht nur an Daten, sondern auch an daraus extrahierten Informationen gibt. Ein einfaches Beispiel ist die Frage, wann ein Schiff wirklich am Hafen anlegen wird. Eine präzise Voraussage der Hafenankunft ist für das reibungslose Abfertigen eines Schiffes am Hafen wichtig. Das können wir aus den AIS-Daten berechnen und an Kunden weitergeben. Ein weiteres Beispiel ist die Überwachung von Meeresgebieten fernab von Küsten. Dazu wird ein maritimes Lagebild erstellt und permanent aktualisiert. Dabei interessiert uns nicht nur, wo sich ein Schiff gerade befindet, sondern auch, was es gerade macht, wo es herkommt, wie es sich bisher auf seiner Reise verhalten hat. So gibt es Schiffe, die der illegalen Fischerei nachgehen und ihre AIS-Signale zeitweise einfach abschalten, um unentdeckt zu bleiben. Es ist aber nicht jeder böswillig unterwegs. Manchmal ist auch der Satellitenempfang eingeschränkt. Diese Unterscheidung gilt es mit Hilfe unserer Datenanalyse zu erleichtern.
Was kann SIMMO II zu dieser Analyse beitragen?
Miguel Nuevo: Das System wird die Durchführung schnellerer Analysen bis hin zu Echtzeitanalysen ermöglichen. Es wird auch die Bewertung der aktuellen Lage in Meeren und Ozeanen auf der globalen Skala und für unterschiedliche Typen von Schiffe möglich machen. Solche Analysen waren bisher kaum machbar. Dazu fragen wir uns: Wie können wir unsere IT-Infrastruktur so bauen, dass sie in der Lage ist, diese doch erheblichen Datenmengen zu analysieren? Kurz: Wie können wir Big Data Tools für unsere Zwecke einsetzen? Konventionelle IT-Systeme sind bisher nicht in der Lage, Daten so schnell zu verarbeiten.
Und das technische Know-how holt ihr an der Universität in Posen ein?
Gerd Eiden: Genau, dort gibt es hochqualifizierte Experten für Big Data, die gemeinsam mit unseren Luxemburger Softwareentwicklern die notwendige IT-Infrastruktur aufbauen und Algorithmen entwickeln, um die Anomalien rund um den Schiffsverkehr und unsere AIS-Positionsdaten auszuwerten.
Klingt spannend! Gibt es noch mehr Illegalität auf hoher See?
Gerd Eiden: Oh ja, die gibt es. Bei der illegalen Fischerei treffen sich Schiffe auf hoher See und laden den Fisch auf ein Kühlschiff um. Oder die Boote laufen in einen Hafen ein, in dem die behördlichen Kontrollen überschaubar sind. Wir wollen herausfinden, welche Häfen das sind, was auf hoher See passiert, ob Schiffe die üblichen Routen verlassen und wie wahrscheinlich ein Zusammentreffen von Schiffen ist. Oder die Überwachung von Handelssanktionen, denn gerade Schiffe unterlaufen diese leider immer wieder. Auch die Überwachung besonders schützenswerter Meeresgebiete wollen wir unterstützen. Das funktioniert mit Hilfe von sehr aufwendigen Algorithmen, mit denen wir aus den AIS-Daten hilfreiche Informationen generieren können.
Ihr leistet also Detektivarbeit? Welche Analysen soll SIMMO außerdem liefern?
Miguel Nuevo: Wir werden ein ganzes Set von Analysen liefern, die zum Beispiel dem Fischerei-Monitoring und so auch der europäischen Fischereiaufsichtsagentur dient. Wir wollen auch genau ausrechnen können, wann ein Schiff im Hafen ankommt. Das ist wichtig für die Logistik. So geben wir Antworten auf die Fragen: Wann muss der Kai frei sein, wann müssen die Kühl-Lkw bereitstehen und so weiter. Dabei verlassen wir uns nicht nur auf die Auswertungen der AIS-Daten, sondern wollen auch andere Datenquellen nutzen, wie beispielsweise die Radarbilder der Sentinel-Satelliten des Copernicus-Programms der ESA. Wenn wir deren Daten mit den AIS-Daten verschmelzen, sehen wir, ob ein Schiff sichtbar ist oder vorsätzlich nicht. Man könnte also wirklich sagen, wir sind eine Detektei für die Weltmeere.